Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortführungsgebundener Verlustvortrag einer GmbH nach § 8d KStG: Beobachtungszeitraum. Bestehen desselben Geschäftsbetriebs i. S. § 8d Abs. 1 Satz 1 KStG bei Übernahme des Geschäftsbetriebs einer anderen Gesellschaft und einer dadurch bedingten organischen bzw. strukturellen Entwicklung der GmbH im Beobachtungszeitraum
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung: Die Vorschrift des § 8d Abs. 1 Satz 1 KStG fordert eine Zeitraumbetrachtung, so dass die Entwicklung des Geschäftsbetriebs während des gesamten Beobachtungszeitraums betrachtet werden muss. Ein reiner Zeitpunktvergleich des Geschäftsbetriebs zu Beginn des Beobachtungszeitraums und zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs kommt aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht in Betracht. § 8d Abs. 1 Satz 1 KStG will von seinem Telos her nicht Körperschaften mit einem organisch über die Jahre weiterentwickelten Geschäftsbetrieb von einer Anwendung ausschließen, sondern nur solche Körperschaften, denen beispielsweise „in einem Akt” ein völlig neuer Geschäftsbetrieb zugeführt wurde.
2. Im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung: War die Tätigkeit einer neugegründeten GmbH von Anfang an darauf ausgerichtet, den vollständigen Geschäftsbetrieb einer anderen Gesellschaft zu übernehmen und fortzuführen, und mussten zur Erreichung dieses Ziels mehrere Schritte getätigt werden, so kann insgesamt von einer organischen bzw. strukturellen Entwicklung der GmbH auszugehen sein, die das Bestehen eines „ausschließlich desselben Geschäftsbetriebs” im Beobachtungszeitraum des § 8d Abs. 1 Satz 1 KStG nicht ausschließt.
3. Beginnt nach einem schädlichen Beteiligungserwerb der Beobachtungszeitraum i. S. d. § 8d Abs. 1 Satz 1 KStG, in dem eine GmbH „ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb” unterhalten muss, mit dem Zeitpunkt der Gründung, so ist insoweit auf den Zeitpunkt des Beginns der Körperschaftsteuerpflicht der sog. Vorgesellschaft, also den Zeitpunkt des formgültigen Abschlusses des notariellen Gesellschaftsvertrages abzustellen; auf den Zeitpunkt der Eintragung in das Handelsregister kommt es nicht an.
4. Für die Frage, ob die GmbH „ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb” unterhalten hat, ist auf die tatsächliche Tätigkeit der GmbH abzustellen, mit der die Verluste erwirtschaftet wurden. Folglich können hiervon abweichende Angaben zum Unternehmenszweck im Gesellschaftsvertrag und im Handelsregister sowie abweichende Angaben in Gewerbeanmeldungen allenfalls indizielle Bedeutung haben.
Normenkette
KStG 2019 § 8c Abs. 1 S. 1, § 8d Abs. 1 Sätze 1-5; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
Tenor
Die Vollziehung des Bescheides für 2019 über Körperschaftsteuer vom 12. August 2022 wird in Höhe von EUR ausgesetzt.
Die Aussetzung der Vollziehung ist befristet bis zum bestandskräftigen Abschluss des Einspruchsverfahrens, längstens jedoch bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
Soweit der Bescheid für 2019 über Körperschaftsteuer vom 12. August 2022 hinsichtlich entstandener Säumniszuschläge bereits vollzogen ist, wird die Vollziehung aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob nach einem schädlichen Beteiligungserwerb die Voraussetzungen des § 8d Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) vorliegen mit der Folge, dass bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte Verluste abziehbar bleiben.
Die Antragstellerin, eine GmbH, wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 20. Oktober 2016 unter der Firma F. GmbH mit Sitz in Z. gegründet (Nummer 632 der Urkundenrolle für 2016 des Notars O. mit Sitz in Z.) und am 14. November 2016 im Handelsregister eingetragen (Handelsregister B des Amtsgerichts P., HRB). Gegenstand des Unternehmens war laut Gesellschaftsvertrag und entsprechender Eintragung im Handelsregister die „…”.
Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 16. Juni 2017 wurde der Sitz nach Y. verlegt. Die Firma wurde in A. GmbH geändert. Gegenstand des Unternehmens war nunmehr. Die Antragstellerin ist seither beim Handelsregister B des Amtsgerichts X. eingetragen.
Nach den in den vom Antragsgegner vorgelegten Akten befindlichen Gewerbeanmeldungen erfolgte mit Datum vom 16. November 2016 eine Gewerbeanmeldung der F. GmbH bei der Stadt Z. Als angemeldete Tätigkeit ist die angegeben. Als Datum des Beginns der angemeldeten Tätigkeit weist die Anmeldung das Datum 14. November 2016 aus. Als Grund der Anmeldung ist „Neugründung” angekreuzt. Unter dem Datum 27. Juli 2017 gab es bei der Stadt Y. eine weitere Gewerbeanmeldung der Antragstellerin unter der Firma A. GmbH. Die angemeldete Tätigkeit wird darin bezeichnet mit „…”. Als Grund der Anmeldung ist wie bei der Anmeldung im November 2016 bei Neugründung ein Kreuz gesetzt.
Die Beteiligungsverhältnisse an der Antragstellerin stellen sich nach Aktenlage und Handelsregister wie folgt dar:
Bei Gründung der Antragstellerin überna...