Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO gegenüber einem erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist Beigeladenen. Aussetzung der Vollziehung zur einstweiligen Beseitigung eines Rechtsscheins. Wiederaufleben des Vorbehalts der Nachprüfung durch nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingelegten Einspruch
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Beiladung zu einem die Besteuerung eines anderen Steuerpflichtigen betreffenden Klageverfahren ermöglicht es nur dann, Folgerungen gegenüber dem Beigeladenen nach § 174 Abs. 4 AO zu ziehen, wenn im Zeitpunkt der Beiladung die Festsetzungsfrist für die betreffende Steuerfestsetzung des Beigeladenen noch nicht abgelaufen war. Ob die Beiladung noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist beantragt worden war, ist unerheblich.
2. Die Aussetzung der Vollziehung kann auch zur einstweiligen Beseitigung eines bloßen Rechtsscheins – im Streitfall des Vorbehalts der Nachprüfung – erfolgen.
3. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein Vorbehalt der Nachprüfung auf § 174 Abs. 4 S. 3 AO gestützt werden kann, und ob § 171 Abs. 3a S. 1 Halbs. 2 AO dazu führen kann, dass das Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung durch die spätere Einspruchseinlegung seinerseits rückwirkend entfällt, der bereits entfallene Vorbehalt der Nachprüfung also wieder auflebt.
Normenkette
AO § 174 Abs. 4 S. 3, Abs. 5, § 171 Abs. 3a S. 1, § 164 Abs. 4; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 03.02.2017; Aktenzeichen XI B 77/16) |
Tenor
Die Vollziehung der Bescheide vom 24. Juli 2015 über Umsatzsteuer für 2004, 2005, 2006 und 2007 wird in vollem Umfang aufgehoben und bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch gegen den jeweiligen Bescheid, längstens jedoch bis der Einspruch zurückgenommen worden ist, ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Erlass von Umsatzsteuerbescheiden von § 174 AO gedeckt ist.
…
Die Umsatzsteuererklärung der X GmbH für 2004 ging beim Antragsgegner am … 2006 ein. Die GmbH errechnete in der Erklärung einen Erstattungsanspruch. Unter dem 22. Juni 2006 stimmte der Antragsgegner der Erklärung zu.
Am 30. November 2007 ging eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für 2004 beim Antragsgegner ein, in der die GmbH keinerlei Besteuerungsgrundlagen, jedoch einen Erstattungsanspruch / eine Abschlusszahlung von 0,– EUR erklärte. Der Steuerberater teilte mit, es sei die Umsatzsteuererklärung für die GmbH statt für die Y GbR eingereicht worden. Er habe aufgrund einer umsatzsteuerlichen Organschaft berichtigte Umsatzsteuererklärungen für 2004 und 2005 eingereicht.
Mit Bescheid vom 12. März 2008 hob der Antragsgegner gegenüber der X GmbH den von ihm als solchen bezeichneten „Bescheid vom 22. Juni 2006” auf. Er führte aus, der Bescheid sei aufzuheben gewesen, weil eine umsatzsteuerliche Organschaft bestehe und die GmbH „Organgesellschaft des Organkreises” sei.
Die Umsatzsteuererklärung der X GmbH für 2005 ging beim Antragsgegner am 30. Mai 2007 ein. In der Erklärung errechnete die GmbH einen Erstattungsanspruch.
In den Verwaltungsvorgängen findet sich eine Verfügung vom 1. Juni 2007 in der vermerkt ist: „Festsetzungsbestätigung: Es wurde eine zustimmungsbedürftige Umsatzsteuererklärung mit allgemeiner Zustimmung (ohne Abweichung) verarbeitet. Die Steuererklärung gilt mit dem Tag des Eingangs beim Finanzamt (30.05.2007 = Ablagedatum im Festsetzungsspeicher) als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung”.
An 19. Oktober 2007 ging beim Antragsgegner eine als berichtigt bezeichnete Umsatzsteuererklärung ein, in der dieselbe Steuer angemeldet und dieselbe Abschlusszahlung errechnet wurden.
Am 30. November 2007 ging beim Antragsgegner abermals eine berichtigte Umsatzsteuererklärung ein. In dieser sind sämtliche Besteuerungsgrundlage und ebenso Vorauszahlungssoll und Abschlusszahlung mit 0,– EUR angegeben.
Mit Bescheid vom 12. März 2008 hob der Antragsgegner gegenüber der X GmbH den von ihm als solchen bezeichneten „Bescheid vom 30. Mai 2007” auf.
Die Umsatzsteuererklärung der X GmbH ging beim Antragsgegner am 04. März 2008 ein. In der Erklärung gab die GmbH eine Abschlusszahlung i.H.v. 0,– EUR an. Mit Schreiben vom 07. April 2008 forderte der Antragsgegner die GmbH auf, eine berichtigte Umsatzsteuererklärung einzureichen, da sie Umsätze zum Regelsteuersatz wie auch nicht steuerbare Umsätze in selber Höhe wie die GbR erklärt habe. In der Erklärung hatte die GmbH abziehbare Vorsteuer und Vorauszahlungen mit jeweils 0,– EUR erklärt. Am 15. April 2008 ging beim Antragsgegner eine berichtigte, jedoch nach dessen Auffassung nicht im Original unterschriebene Umsatzsteuererklärung beim Antragsgegner ein. Am 08. Mai 2008 ging beim Antragsgegner eine berichtigte Umsatzsteuererklärung ein, in dieser werden ebenso wie in der zuvor eingegangen alle Besteuerungsgrundlagen mit 0,– EUR angegeben. Dasselbe gilt für die Absc...