Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch für behinderte Kinder ab 2012 weiter von der Fähigkeit der Kinder zum Selbstunterhalt und damit von den Einkünften und Bezügen des behinderten Kindes abhängig
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch nach Wegfall des ehemaligen § 32 Abs. 4 S. 2 EStG – Grenzbetragsregelung – durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 (StVereinfG 2011 v. 1.11.2011, BGBl 2011 I S. 2131) besteht ein Kindergeldanspruch ab 2012 für behinderte Kinder weiterhin nur dann, wenn das behinderte Kind nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten. Bei behinderten Kindern wirkt sich ab 2012 weiterhin die vorhandene Fähigkeit zum Selbstunterhalt kindergeldschädlich aus und ist für die Berechnungen des Grundbedarfs anstelle des bisherigen Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG nunmehr der Grundfreibetrag des § 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG in Ansatz zu bringen (Anschluss an Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes, Stand 2013 – DA-FamEStG DA 63.3.6.4. Abs. 1 Satz 3).
2. Verfügt das behinderte Kind über ausreichende eigene finanzielle Mittel, besteht für zusätzliche Aufwendungen der Eltern grundsätzlich keine Notwendigkeit. Ob und inwieweit die Eltern ggf. aus familiären oder sozialen Gründen darüber hinaus eigene Aufwendungen für das Kind erbringen, ist unter kindergeld- und steuerrechtlichen Gründen unbeachtlich.
3. Ein Kind ist dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensunterhalts ausreicht. Der gesamte existenzielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich dabei typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Für den Streitzeitraum 2012 ist der (Jahres-)Grundbedarf nach § 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG mit 8.004,00 EUR (monatlich 667,00 EUR) zu bemessen. Hinzu kommt ein individueller behinderungsbedingter Mehraufwand, den gesunde Kinder nicht haben; erbringt der Steuerpflichtige keinen Einzelnachweis, kann der jeweils maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 1 bis 3 EStG) als Anhalt für den betreffenden Mehrbedarf dienen.
Normenkette
EStG 2012 § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 33b Abs. 3; EStG 2007 § 32 Abs. 4 S. 2
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Kindergeld für das seelisch behinderte (Schizophrenie) Kind M., geboren … 1980. Dieser hat seit dem 11. Juli 2007 einen Grad der Behinderung von 70, bezieht seit November 2002 eine Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit und lebt in einem eigenen Haushalt.
Mit Antrag vom 05. September 2012 beantragte M. die Auszahlung des anteiligen Kindergeldes an sich selbst und gab an, dass seine Eltern für ihn keinen Unterhalt leisten würden. Über diesen Abzweigungsantrag unterrichtete die Beklagte die Klägerin und forderte sie auf, einen Überprüfungsfragebogen für behinderte Kinder mit aktuellen Nachweisen vorzulegen. Die Klägerin gab daraufhin an, dass sie für das Kind regelmäßige Zahlungen in Höhe von 100 EUR monatlich sowie rechtliche Betreuung, Ausübung des Sorgerechts und Interessenvertretung leiste. Des Weiteren übersandte sie einen Rentenbescheid, wonach M. ab dem 01. Juli 2012 eine monatliche Rente in Höhe von netto 780,44 EUR beziehe. Des Weiteren gab sie an, dass die bestehende Betreuung seit April 2012 auf Wunsch des Kindes beendet worden sei.
Die Beklagte berechnete daraufhin den Bedarf und die verfügbaren Mittel des Kindes und hob mit Bescheid vom 04. Oktober 2012 die Kindergeldfestsetzung ab September 2012 nach § 70 Abs. 3 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Streitjahres (EStG) auf und gab zur Begründung an, dass das Kind durch eigene verfügbare finanzielle Mittel in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Hintergrund war die Rentenerhöhung ab Juli 2012 von netto 763,21 EUR auf 780,44 EUR. Gleichzeitig lehnte die Beklagte mit Bescheid vom gleichen Tage den Abzweigungsantrag des Kindes ab, da ein Anspruch auf laufende Zahlung des Kindergeldes nicht gegeben sei.
Gegen die Aufhebung richtete sich der Einspruch der Klägerin vom 06. Oktober 2012. Sie vertrat die Ansicht, dass mit dem Steuervereinfachungsgesetz 2011 Einkünfte- oder Bezügegrenzen entfallen seien, so dass Kindergeld unabhängig von den eigenen Einkünften des Kindes zu gewähren sei.
Mit Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 2012 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Beklagte führte aus, dass ein behindertes Kind kindergeldrechtlich nur zu berücksichtigen sei, wenn es nicht in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten. Der notwendige Lebensbedarf bestehe aus dem allgemeinen Lebensbedarf und orientiere sich insoweit am Grundbedarf des § 32 a Abs. 1 EStG in Höhe von 8004 EUR jährlich und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf richte s...