Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Fähigkeit behinderter Kinder zum Selbstunterhalt
Leitsatz (redaktionell)
Im Hinblick auf die Jahresbezogenheit des Grenzbetrags darf eine von der Finanzverwaltung als Fürsorgemaßnahme gedachte monatsweise Prüfung, ob die zu berücksichtigenden Einkünfte und Bezüge des Kindes den anteiligen Grenzbetrag übersteigen, nicht dazu führen, dass ein für das gesamte Kalenderjahr gegebener Anspruch auf Kindergeld wegen zufälliger Auszahlungsmodalitäten für einen Monat oder einzelne Monate entfällt (gegen DA-FamEStG 63.3.6.3.2 Abs. 2 Satz 5 Halbs. 2).
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 2
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger ist der Vater der am … geborenen Tochter D, die zu 100 v.H. behindert und teilstationär in einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt ist. Im Schwerbehindertenausweis … ist u.a. das Merkzeichen „H” (hilflos) eingetragen. Ihr stand im Streitjahr 2001 ein Pauschbetrag für Behinderte in Höhe von 7.200 DM zu (§ 33b Abs. 3 Satz 3 Einkommensteuergesetz – EStG –).
Mit Bescheid vom 23. Oktober 2001 wurde für D ab Oktober 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 1.427,49 DM bewilligt. Der um Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung geminderte Auszahlungsbetrag wurde ab 1. Dezember 2001 auf monatlich 1.312,58 DM festgesetzt. Die Nachzahlung für die Monate Oktober und November 2001 betrug 2.625,16 DM und wurde vorläufig einbehalten. Nach Abzug eines Erstattungsanspruchs der Gemeinde R, die für D Sozialleistungen erbracht hatte, wurden am 9. November 2001 noch 960,83 EUR (entspricht 1.879,22 DM) zur Auszahlung angewiesen.
Mit Bescheid vom 5. März 2002 hat der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für November 2001 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung – AO -aufgehoben, weil die Einkünfte und Bezüge von D den für das Jahr 2001 geltenden anteiligen Jahresgrenzbetrag von (1/12 von 14.040 =) 1.170 DM überschreiten würden. Gleichzeitig wurde das Kindergeld für November 2001 in Höhe von 138,05 EUR (entspricht 270 DM) gemäß § 37 Abs. 2 AO vom Kläger zurückgefordert. Hiergegen hat der Kläger am 3. April 2002 Einspruch eingelegt, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2002 als unbegründet zurückgewiesen hat. Am 12. Juni 2002 hat der Kläger Klage erhoben.
Er beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 5. März 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2002 aufzuheben.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die Einkünfte und Bezüge von D hätten insgesamt 11.433,92 DM betragen. Hieraus errechne sich bei jahresbezogener Betrachtung ein Monatsbetrag von 952,82 DM, der unter dem anteiligen Grenzbetrag von (1/12 von 14.040 DM =) 1.170 DM liege.
Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung,
die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogene Kindergeldakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und auch begründet.
1. Seit dem 1. Januar 1996 wird im laufenden Kalenderjahr Kindergeld als Steuervergütung monatlich gezahlt (§ 31 Satz 3 EStG). Als solche unterliegt es, soweit der diesbezügliche X. Abschnitt des EStG in seinen §§ 67 bis 78 keine verfahrensrechtlichen Sonderregelungen enthält, uneingeschränkt den steuerlichen Verfahrensvorschriften der AO (Bundesfinanzhof – BFH –, Beschlüsse vom 27. Juli 1999 VI S 13/99, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs [bis einschließlich 1997] / Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs [seit 1998] – BFH/NV – 2000, 39 und vom 14. Juli 1999 VI B 89/99, BFH/NV 1999, 1597). Nach § 155 Abs. 6 AO sind die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften auf die Festsetzung des Kindergeldes sinngemäß anzuwenden.
2. Vorliegend ist ausschließlich streitig, ob der Beklagte berechtigt war, die Festsetzung des Kindergeldes für den Monat November 2001 aufzuheben und das für diesen Monat gezahlte Kindergeld zurückzufordern.
2.1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG ist ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, beim Kindergeld zu berücksichtigen, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, sofern die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Dies ist der Fall, wenn die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht und das Kind über keine anderen Einkünfte und Bezüge verfügt (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 12. November 1996 III R 53/95, BFH/NV 1997, 343). Ist das Kind trotz seiner Behinderung (z.B. aufgrund hoher Einkünfte oder Bezüge) in der Lage, sich selbst zu unterhalten, d.h. für seinen gesamten notwendigen Lebensunt...