Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung bei der Rückforderung einer gemeinschaftsrechtwidrigen Beihilfe
Leitsatz (redaktionell)
- Bei der Rückforderung einer gemeinschaftsrechtwidrigen Beihilfe ist die Aussetzung der Vollziehung durch die nationalen Gerichte nicht ausgeschlossen.
- Wird mit der Rückforderung einer Mineralölsteuervergütung die sich aus dem vorgehenden Gemeinschaftsrecht ergebende Rechtsfolge gezogen, liegt hierin keine unzulässige rückwirkende Rechtsausübung.
- Die Rückforderung einer gemeinschaftsrechtwidrigen Beihilfe wird nicht durch die Festsetzungsfristen der §§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 170, 171 AO begrenzt.
Normenkette
FGO § 69; GG Art. 19 Abs. 4; MinöStG § 25 Abs. 3a; AO § 1 Abs. 1 S. 2, § 169 Abs. 2, §§ 170-171; VO 659/1999/EG Art. 14 Abs. 3; VO 659/1999/ EG Art. 15; EG Art. 10 Abs. 2, Art. 87-88, 249
Streitjahr(e)
2001, 2002, 2003, 2004
Nachgehend
Tatbestand
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Rückforderung vergüteter Mineralölsteuer.
Die Antragstellerin betrieb Unterglasanbau, für dessen Beheizung sie Heizöl einsetzte. Hierfür erhielt sie von 2001 bis 2004 Vergütungen nach § 25 Abs. 3a Nr. 1.4 des Mineralölsteuergesetzes MinöStG. Für 2005 und 2006, seit dem 01.08.2006 nach § 58 des Energiesteuergesetzes, hatte sie diese Vergütungen ebenfalls beantragt. Über diese Anträge war – vorbehaltlich einer beihilferechtlichen Genehmigung der entsprechenden Regelungen durch die Europäische Kommission (Kommission) noch nicht entschieden worden.
Mit Entscheidung vom 11.03.2008 stellte die Kommission fest, dass die Beihilferegelung für Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft zum Beheizen von Gewächshäusern oder geschlossenen Kulturräumen zur Pflanzenproduktion gemäß dem Gesetz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes und dem Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform und dem Richtlinien-Umsetzungsgesetz hinsichtlich der Steuerermäßigung, die über das ursprüngliche Steuerniveau von 40,90 EUR/ 1.000 l Heizöl hinausgeht, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist. Zugleich forderte die Kommission Deutschland u.a. auf, die Beihilfe mit Zinsen nach den nationalen Verfahren, sofern diese die sofortige, tatsächliche Vollstreckung der Entscheidung ermöglichen, zurückzufordern, Art. 4 der Entscheidung.
Dabei ging die Kommission davon aus, dass die Vergütungsregelungen für die Jahre 2001 bis 2004 nicht notifiziert, d. h. der Kommission nicht zur beihilferechtlichen Prüfung mitgeteilt worden sind (Tz. 2 der Entscheidung). Zudem seien die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nicht verletzt (Tzn. 86 ff. der Entscheidung).
Mit Schreiben vom 30.11.2005 hatte das Bundesministerium der Finanzen (BMF) die Antragstellerin von beihilferechtlichen Überprüfungsverfahren und mit Schreiben vom 09.12.2005 über die Vorgehensweise bei den Vergütungen für die Jahre 2005 und 2006 unterrichtet. Mit Schreiben vom 04.04.2008 teilte das BMF der Antragstellerin mit, dass die Vergütungen für 2001 bis 2004 zurückzufordern seien und dass für 2005 und 2006 Vergütungen nur bis zu der von der Kommission genehmigten Höhe ausgezahlt werden dürften. Insoweit werde das örtlich zuständige Hauptzollamt tätig werden.
Mit Bescheid vom 09.06.2008 forderte der Antragsgegner von der Antragstellerin 44.885,58 EUR Vergütung für die Jahre 2001 bis 2004 sowie 9.913,08 EUR Zinsen zurück und setzte die Vergütung für 2005 und 2006 auf 22.286,70 EUR fest, so dass die Antragstellerin noch 32.511,96 EUR zu zahlen hatte.
Bei der Berechnung der Rückforderung und der Festsetzung der Vergütung berücksichtigte der Antragsgegner zugunsten der Antragstellerin für 2002, 2005 und 2008 eine sog. De-minimis-Beihilfe von jeweils 3.000 EUR nach der Verordnung (EG) Nr. 1860/2004 der Kommission vom 6. Oktober 2004 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor (ABl. Nr. L 325/4).
Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Anlagen und Erläuterungen des Bescheids verwiesen.
Dabei teilte er mit, die Festsetzungsverjährung spiele wegen § 1 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) keine Rolle.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin fristgerecht Einspruch ein, da die Rückforderung zu Unrecht erfolgt sei. Zugleich beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich der Rückforderung der geleisteten Vergütungen und Zinsen.
Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit Verfügung vom 02.07.2008 ab, da die nach Art.14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (ABl. EG Nr. L 83/1) VO 659/1999 vorzunehmende Rückforderung unverzüglich und nach den Verfahrensvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu erfolgen hätte, wenn hierdurch die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kommissionsentscheidung ermöglicht werde. Regelungen der AO seien nur insoweit anzuwenden, als sie n...