Entscheidungsstichwort (Thema)
Einführung der tatsächlichen Feststellungen eines Strafverfahrens in das finanzgerichtliche oder Besteuerungsverfahren nur bei vollständiger Anzeige der Tatsachenfeststellungen und der relevanten Entscheidungsgründe an den Abgabenschuldner zulässig
Leitsatz (redaktionell)
- Die Finanzgerichte und die Steuerbehörden können sich die nicht substantiiert bestrittenen oder unter Beweis gestellten tatsächlichen Feststellungen eines Strafverfahrens auch gegenüber einem hieran nicht beteiligten Abgabenschuldner zu eigen machen.
- Voraussetzung ist allerdings, dass das Strafurteil in das finanzgerichtliche oder Besteuerungsverfahren eingeführt worden und dem Abgabenpflichtigen bekannt ist.
- Durch die Übersendung eines unvollständigen Auszugs aus dem Strafurteil, der die Grundlagen der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellung nicht umfasst, wird dem Anspruch auf rechtliches Gehör nicht genügt.
- Hat die Finanzbehörde keine sonstigen hinreichenden Feststellungen zum abgabenpflichtigen Tatbestand getroffen, ist die Vollziehung der Abgabenforderung auszusetzen.
- Es ist nicht Aufgabe des potentiellen Abgabenpflichtigen, sich selbst Kenntnisse hinsichtlich derjenigen Umstände zu verschaffen, auf die die Finanzbehörde ihren Abgabenanspruch stützen will.
Normenkette
ZK Art. 202 Abs. 3, Art. 244 Abs. 2; UStG § 21 Abs. 2; TabStG § 21; AO § 88; FGO § 69
Streitjahr(e)
1997, 1998, 1999, 2000
Tatbestand
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen Steuerbescheid des Antragsgegners (Hauptzollamt - HZA -) vom 21. November 2006, mit dem ihn dieser auf Zahlung von Zoll, tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt 86.891,15 € in Anspruch nimmt.
In dem Steuerbescheid ist als Bezug angegeben:
„Rechtskräftiges Urteil des Landgerichts D vom 05.12.2000 - Js , laufende Nummer „.
Der Begründungstext lautet:
„Laut Urteil des Amtsgerichts [gemeint: Landgerichts] D vom 05.12.2000 [gemeint: 27.11.2000] haben Sie sich der Steuerhehlerei…durch Ankauf [gemeint: Verkauf/Absatz] von in diesem Fall 4.100 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten strafbar gemacht.
Sie belieferten Herrn X von Anfang 1997 bis Mai 2000 monatlich mit 100 Stangen geschmuggelter Zigaretten unbekannter Marken. Es handelt sich um 41 Fälle, nämlich jeweils 12 x 100 Stangen = 1.200 Stangen für die Jahre 1997, 1998 und 1999 und 5 x 100 Stangen, d. h. 500 Standen für das Jahr 2000.
... Sie schulden den Betrag gesamtschuldnerisch gemäß Art. 213 Zollkodex i. V. m. § 44 Abgabenordnung in voller Höhe mit Herrn X. ...”
Mit dem hiergegen gerichteten Einspruch, verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung und einem Antrag auf Akteneinsicht in das zitierte Urteil, ließ der Antragsteller geltend machen, ihm sei die mitgeteilte Verurteilung nicht gegenwärtig.
Über den Einspruch ist noch nicht entschieden worden.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2006 teilte der Antragsgegner dem Prozessvertreter des Antragstellers mit, eine Akteneinsicht sei im Besteuerungsverfahren grundsätzlich nicht vorgesehen (§ 364 AO). Es werde jedoch ein Auszug aus dem Urteil des Landgerichts D vom 27. November 2000 (nicht 5. Dezember 2000 = Tag der Rechtskraft) beigefügt.
Mit Verfügung vom 28. Dezember 2006 lehnte der Antragsgegner eine Aussetzung der Vollziehung ab und führte aus:
Der Antragsteller habe nach den Feststellungen des Landgerichts D in dem Urteil gegen Herrn X vom 27. November 2000 (Abschnitt B. Fälle) in den Jahren 1997, 1998 und 1999 insgesamt 1.200 Stangen [gemeint: jeweils 1.200 Stangen] und im Jahr 2000 insgesamt 500 Stangen geschmuggelte (unversteuerte und unverzollte) Zigaretten an Herrn X geliefert. Wegen der Einzelheiten und der Begründung werde auf den Steuerbescheid vom 27. [gemeint: 21.] November 2006 sowie das zitierte Landgerichts-Urteil Bezug genommen.
Dieser steuerliche Sachverhalt stehe fest; dabei habe sich das HZA nach geltender Rechtsprechung die strafgerichtlichen Feststellungen zu eigen gemacht, weil sie vom Einspruchsführer nicht substantiiert bestritten und keine entsprechenden Beweisanträge gestellt worden seien.
Die zu Grunde gelegten Zigarettenmengen ergäben sich nachvollziehbar aus dem o. a. Urteil des Landgerichts. ...
Gründe, die begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides hervorrufen könnten, seien nach summarischer Prüfung der angefochtenen Entscheidung - unter Berücksichtigung der präsenten Beweismittel - nicht erkennbar und im übrigen auch nicht vorgetragen worden.
In der Einspruchsbegründung vom 29. Dezember 2006 ließ der Antragsteller vortragen:
Der Einspruchsführer sei an dem Strafverfahren weder als Angeklagter noch als Zeuge noch sonst beteiligt gewesen. Eine Vernehmung des Einspruchsführers im Anschluss an dieses Verfahren habe nicht stattgefunden.
Akteneinsicht sei nicht gewährt worden.
Dem Einspruchsführer sei weder im Verfahren vor dem Landgericht D rechtliches Gehör gewährt worden noch werde im Festsetzungsverfahren der Sachverhalt näher...