Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer 1993 und 1994 und Umsatzsteuer 1994
Nachgehend
Tenor
Der Einkommensteuerbescheid für 1993 vom. August 1995, der Einkommensteuerbescheid für 1994 vom. August 1995, der Umsatzsteuerbescheid für 1994 vom. August 1995 und die Einspruchsentscheidung vom. März 1996 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtzeitigkeit von Einsprüchen gegen sog. Schätzungsbescheide.
Der Kläger betrieb in den Streitjahren einen Lebensmitteleinzelhandel in X. Mangels Abgabe von Steuererklärungen schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 der Abgabenordnung -AO- und erließ entsprechende Bescheide über Einkommensteuer 1993 und 1994 sowie Umsatzsteuer 1994. Die Bescheide wurden dem Kläger ausweislich der bei den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde am 25. August 1995 durch Niederlegung zugestellt. Eine schriftliche Anordnung der Zustellung enthalten die Steuerakten nicht.
Mit Schreiben vom 25. September 1995 legte der Kläger gegen die Steuerbescheide Einspruch ein. Das Schreiben ist mit dem Eingangsstempel des Beklagten vom 28. September 1995 versehen. Der Beklagte forderte den Kläger zunächst zum Nachreichen der Steuererklärungen auf, verwarf dann jedoch den Einspruch als unzulässig (verspätet).
Mit der Klage trägt der Kläger vor:
Der Einspruch sei fristgerecht, nämlich durch Einwurf in den Hausbriefkasten des Beklagten am 25. September 1995 durch den Prozeßvertreter zu 2. eingelegt worden. Er sei daher nach den im Einspruchsverfahren eingereichten Steuererklärungen zu veranlagen. Der Beklagte sei zunächst selbst von der Rechtzeitigkeit des Einspruchs ausgegangen, wie die Aufforderung zur Abgabe der Erklärungen zeige. Im übrigen fehle es an einer schriftlichen Dokumentation der angeordneten förmlichen Zustellung gem. § 122 Abs. 5 AO durch den Beklagten.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 1993 vom. August 1995, den Einkommensteuerbescheid für 1994 vom. August 1995 und den Umsatzsteuerbescheid für 1994 vom. August 1995 sowie die Einspruchsentscheidung vom. März 1996 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor:
Der Einspruch sei verspätet. Die behördliche Anordnung einer Zustellung i.S.d. § 122 Abs. 5 AO müsse nicht schriftlich dokumentiert werden. Derartiges sei gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Anordnung selbst ergebe sich bereits aus der Postzustellungsurkunde, während die Gründe für die Anordnung und der dazu erforderlichen Ermessensausübung regelmäßig konkludent deutlich aus dem Inhalt der Steuerakten hervorgingen. Der Beklagte mache von einer förmlichen Zustellung insbesondere in Schätzungsfällen Gebrauch. Auch die Angaben im Anschriftenfeld der Postzustellungsurkunde seien mit Steuernummer und Steuerjahr ausreichend, um Verwechslungen auszuschließen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Steuerbescheide und die Einspruchsentscheidungen sind aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-); sie sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Die angefochtenen Steuerbescheide sind wegen verfahrensrechtlichen Verstoßes gegen die Bekanntgabevorschrift des § 122 AO rechtswidrig; der Verfahrensverstoß steht dem materiell-rechtlichen Verstoß gleich (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO 16. Aufl., § 100 FGO, Rdz. 10). Die Bescheide sind deshalb bislang nicht wirksam bekanntgegeben (§ 124 Abs. 1 Satz 1 AO).
Als Verwaltungsakt wird ein Steuerbescheid nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AO in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, bekanntgegeben wird. Diese Bekanntgabe kann im Streitfall nicht festgestellt werden.
Der Beklagte hatte für die Bekanntgabe den Weg der Übermittlung durch die Post gewählt. Es galten daher die hierfür getroffenen Regelungen des § 122 Abs. 2 – 5 AO. Die Zustellung schriftlicher Verwaltungsakte ist nach § 122 Abs. 5 AO in den Fällen, in denen – wie hier – die förmliche Zustellung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, nur zulässig, wenn sie „behördlich angeordnet wird”. An einer solchen Anordnung fehlt es im Streitfall.
Die Steuerakten, insbesondere der Verfügungsteil auf der Zweitschrift der Bescheide, lassen keinerlei Willensbildung über die vorzunehmende förmliche Postzustellung erkennen. Eine schriftliche Dokumentation dieser Willensbildung ist nicht etwa entbehrlich. Zwar handelt es sich bei der Anordnung der Zustellung nicht um einen Verwaltungsakt, weil der Anordnung als solcher keine Außenwirkung zukommt. Die Anordnung der Zustellung stellt aber eine der behördeninternen Willensentscheidungen bei der Entstehung des Steuerverwaltungsakts dar, die ebenso wie der Veranlagungswille selbst in der Akte niederzulegen und zu unterschreiben ist (vgl. das rkr. Urteil des Senats vom 3. März 1998 8 K 4820/96 F, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 1998, 1039 mit weiterem Hinweis).
In der Praxis...