Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermäßigter Steuersatz für Wirbelsäulenfixationssysteme – Nebenfunktion zum Behandeln von Frakturen

 

Leitsatz (redaktionell)

Einer Einreihung von Wirbelsäulenfixationssystemen in die Unterposition 9021 10 10 KN mit der Folge der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG steht aufgrund der sie kennzeichnenden Hauptfunktion nicht entgegen, dass diese auch als Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen (Frakturen) verwendet werden (vorgehend: EuGH-Urteil vom 12. April 2018 - Rs. C- 227/17).

 

Normenkette

UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1; UStG Anlage 2 Nr. 52 Buchst. b zu § 12 Abs. 2 Nr. 1; KN Upos. 9021 10 10; KN UPos. 9021 10 90; KN UPos. 9021 90 90

 

Tatbestand

Die Klägerin lieferte Wirbelsäulenfixationssysteme an Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte. Diese Systeme bestehen aus

1. Monoaxialschrauben aus Titan, Multiaxialschrauben aus Titan oder Kobalt-Chrom/Titan, Multiaxialschrauben aus Titan jeweils mit verschiedenen Durchmessern und Längen, farblich codiert, mit selbstschneidendem Gewinde, jeweils mit dazu gehörigen Verschlussschrauben aus Titan,

2. Rundstiften aus verschiedenen Materialien (Titanlegierung oder Kobalt-Chrom), vorgebogen oder gerade, mit einem Durchmesser von 4,75 mm, in verschiedenen Längen (zwischen 30 und 500 mm),

3. Crosslink 4,75 mm-Platten aus Titan, in verschiedenen Längen (fest oder verstellbar) einschließlich einer Verschlussschraube,

4. farblich codierten 4,75 mm-Haken in vier verschiedenen Größen und Ausführungen, aus einer Titanlegierung sowie

5. lateralen Konnektoren aus einer Titanlegierung mit einem Durchmesser von 4,75 mm.

Die Wirbelsäulenfixationssysteme, die patientenspezifisch zusammengestellt werden, werden dauerhaft in den menschlichen Körper implantiert und dienen dazu, Patienten mit degenerativen Bandscheibenerkrankungen, Stenosen und Dislokationen der Wirbelsäule oder fehlgeschlagenen früheren Fusionen, Tumoren und Skoliose zu behandeln. Die Systeme werden auch als Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen (Frakturen) verwendet.

Die Klägerin wendete auf die Besteuerung der Umsätze aus den Lieferungen des Wirbelsäulenfixationssystems auf der Grundlage einer ihr erteilten unverbindlichen Zolltarifauskunft des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung, das die Systeme in die Unterposition 9021 90 90 der Kombinierten Nomenklatur (KN) eingereiht hatte, den ermäßigten Steuersatz des § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) an. Im Anschluss an zwei Außenprüfungen (Prüfungsberichte vom 31. März und 7. April 2016) wendete sie auf die Besteuerung der Umsätze aus den Lieferungen der Wirbelsäulenfixationssysteme in ihrer für den Monat Mai 2016 dem beklagten Finanzamt übermittelten Voranmeldung den Regelsteuersatz an.

Die Klägerin hat am 19. Juli 2016 Sprungklage erhoben, die dem beklagten Finanzamt am 21. Juli 2016 zugestellt worden ist. Das beklagte Finanzamt hat der Sprungklage am 19. August 2016 zugestimmt.

Die Klägerin hat vor getragen: Die Wirbelsäulenfixationssysteme seien nicht in die Unterposition 9021 10 90 KN einzureihen, wie dies jetzt die Finanzverwaltung vertrete. Vielmehr seien die Systeme in die Unterposition 9021 90 90 KN einzureihen. Im Gegensatz zu Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen, die nur vorübergehend im menschlichen Körper verblieben, seien die Wirbelsäulenfixationssysteme dafür ausgelegt, langfristig im Körper des Patienten zu verbleiben. Die Warenbeschreibung der Unterposition 9021 90 90 KN sei zudem genauer, weil die Wirbelsäulenfixationssysteme nicht nur zum Behandeln von Knochenbrüchen verwendet würden. Falls man dem nicht folge, seien die Systeme jedenfalls in Anwendung der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur (AV) 3 Buchstabe c in die Unterposition 9021 90 90 KN einzureihen. Das beklagte Finanzamt könne sich für die Begründung seiner abweichenden Auffassung nicht mit Erfolg auf die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1214/2014 (DVO Nr. 1214/2014) der Kommission vom 11. November 2014 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierten Nomenklatur (ABl EU Nr. L 329/8) stützen. Diese Verordnung beziehe sich nicht auf Wirbelsäulenfixationssysteme. Die in der DVO Nr. 1214/2014 beschriebene Pangeaschraube sei überdies nicht mit den Wirbelsäulenfixationssystemen zu vergleichen, weil diese nicht nur in der Traumachirurgie verwendet würden. Jedenfalls gebiete unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 18. März 2005 - 1 BvR 1822/00 - (HFR 2005, 696) eine verfassungskonforme Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG eine Einreihung der Wirbelsäulenfixationssysteme in die Unterposition 9021 90 90 KN.

Die Klägerin beantragt,

ihre Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Mai 2016 aufzuheben, soweit damit die Steuer höher als € festgesetzt worden ist.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat es vorgetragen: Die Wirbelsäulenfixationssysteme seien nach ihren objektiven Beschaffenheitsmerkma...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge