Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausübung und Begründung des Auswahlermessens bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags. Verspätungszuschlag; Umsatzsteuer; Auswahlermessen; Festsetzungsvorschlag; Textbausteine; Begründungsanforderung; Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit; Zahlungsanspruch; 50 v. H.- Grenze
Leitsatz (redaktionell)
- Die Ausübung und Begründung des Auswahlermessens bei der Festsetzung eines Verspätungszuschlags darf sich nicht in der ungeprüften Übernahme eines rechnergesteuerten Festsetungsvorschlags und der Verwendung floskelhafter Textbausteine erschöpfen.
- Die festgesetzte Umsatzsteuer ist keine aussagekräftige Maßgröße für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen.
- Soweit die Finanzbehörde entgegen den Empfehlungen der einschlägigen Verwaltungsanweisungen einen 50 v. H. der Abschlusszahlung übersteigenden Verspätungszuschlag für geboten hält, folgen hieraus gesteigerte Anforderungen an die Begründung ihrer Ermessensentscheidung.
Normenkette
AO § 152 Abs. 1, 2 S. 2
Tatbestand
Der Kläger betreibt ein gewerbliches Unternehmen, das Elektroanlagen zum Gegenstand hat. Für die Abgabe der Umsatzsteuererklärung für 1996 gewährte ihm der Beklagte - das Finanzamt - eine Frist bis zum 28. Februar 1998. Wegen Nichtabgabe der Erklärung setzte das Finanzamt am 24. Juli 1998 die Umsatzsteuer 1996 im Schätzungsweg auf 61.324 DM fest (Nachzahlungsbetrag: 9.596 DM); zugleich setzte es gegen den Kläger einen Verspätungszuschlag von 1.220 DM fest.
Hiergegen erhob der Kläger Einspruch und gab am 17. September 1998 die Umsatzsteuererklärung für 1996 ab. Aufgrund dessen ergab sich schließlich eine Umsatzsteuerfestsetzung von 54.126 DM bei einem Nachzahlungsbetrag (gegenüber den vorangemeldeten Beträgen) von 2.398 DM. Der festgesetzte Verspätungszuschlag blieb unverändert bestehen (Änderungsbescheid vom 9.11.1998). Den aufrechterhaltenen Einspruch des Klägers wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, die Tatbestandsvoraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags seien gegeben. Die Abgabefrist sei erheblich überschritten, Entschuldigungsgründe seien nicht ersichtlich. Der Verspätungszuschlag sei auch der Höhe nach (gemessen an den Kriterien des § 152 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung 1977 - AO -) gerechtfertigt. Im vorliegenden Fall habe allerdings der Aspekt des Vorteilsausgleichs wegen der Vollverzinsung keine Rolle gespielt. Vielmehr sei der Verspätungszuschlag im besonderen Maße unter dem Gesichtspunkt zu bemessen gewesen, den Kläger für die Zukunft zur fristgerechten Abgabe seiner Steuererklärungen zu bewegen. Der Kläger habe die in Frage stehenden Steuererklärungen zum wiederholten Male nach Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Verlauf des Rechtsbehelfsverfahrens eingereicht. Sein Verschulden sei als erheblich anzusehen. Es sei daher ein Zuschlag festzusetzen gewesen, der für den Kläger einen spürbaren Anstoß darstelle, seiner Steuererklärungspflicht in Zukunft pünktlich nachzukommen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers sei angemessen berücksichtigt.
Mit seiner Klage wendet der Kläger ein, der Verspätungszuschlag sei überzogen; er solle nur Störungen des Veranlagungsverfahrens verhindern, dürfe aber nicht - wie hier - Strafcharakter haben. Insbesondere angesichts einer Abschlusszahlung von 2.367,70 DM sei der Zuschlag, der mehr als die Hälfte dieses Betrags ausmache, zu hoch bemessen.
Der Kläger beantragt,
die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer 1998 vom 24. Juli 1998 und 9. November 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. August 1999 mit der Maßgabe aufzuheben, dass das Finanzamt unter Beachtung der Rechtsauffassung der Gerichts erneut über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags befinden kann.
Der Beklagte ist - entsprechend seiner vorherigen Ankündigung - nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen. Er beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, da der Kläger bereits die Steuererklärungen für die Vorjahre 1994 und 1995 verspätet abgegeben habe und der für 1995 festgesetzte Verspätungszuschlag zu keiner Änderung des Abgabeverhaltens geführt habe, sei eine Festsetzung des Verspätungszuschlags in Höhe von 1.220 DM gerechtfertigt gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Steuerakten des Finanzamts verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die angefochtene Festsetzung des Verspätungszuschlags ist nicht frei von Ermessensfehlern.
Ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 152 Abs. 1 AO) erfüllt sind, ist eine vom Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Die Entscheidung, ob und ggf. in welcher Höhe ein Verspätungszuschlag tatsächlich festgesetzt wird, ist demgegenüber eine Ermessensentscheidung (§ 5 AO), die von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerich...