Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Kindergeld eines in Griechenland sozialversicherten Antragstellers

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Eine Bindung an ein rechtskräftiges Urteil tritt nicht bezüglich solcher Umstände ein, die dem Gericht bei der Urteilsfindung nicht bekannt waren oder die erst nach Erlass des Urteils entstanden sind.
  2. Die rückwirkende Befreiung eines im Inland als Arbeitnehmer tätigen griechischen Staatsangehörigen von der inländischen Sozialversicherungspflicht gemäß Artikel 17 VO (EWG) 1408/71 ist in Bezug auf die damit hinfällige Kindergeldberechtigung ein rückwirkendes Ereignis, das die Familienkasse zur Aufhebung der für die Vergangenheit rechtskräftig ausgeurteilten Kindergeldfestsetzung berechtigt.
  3. Die Bekanntgabe einer Vereinbarung nach Art. 17 VO (EWG) 1408/71 durch einen innerstaatlichen Umsetzungsakt ist nur erforderlich, wenn sie nicht nur für einzelne Personen, sondern für einen nach abstrakt - generellen Merkmalen bestimmten Personenkreis gelten soll.
  4. Eine solche Vereinbarung ist als Ermessensakt nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar.
  5. Soweit hierdurch im Interesse der ausschließlichen Anwendung eines einzigen nationalen Rechtssystems die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung bewirkt wird, ist dies weder willkürlich noch grob sachwidrig.
 

Normenkette

FGO § 110 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; VO (EWG) 1408/71 Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h), Art. 13 Abs. 2 Buchst. b, Art. 17; SGB IV § 2 Abs. 2 Nr. 1, § 3 Nr. 1; SGB VI § 1 Nr. 1

 

Streitjahr(e)

1997, 1998, 1999

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 14.02.2013; Aktenzeichen III R 25/08)

 

Tatbestand

Der Kläger ist griechischer Staatsangehöriger und als Angestellter bei einer Bank in Griechenland, bei der es sich um eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Athen handelt, beschäftigt. Im Jahre 1994 versetzte die Bank den Kläger nach Düsseldorf. Der Kläger lebte seit seiner Versetzung mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern in Düsseldorf. Anfang April 1999 kehrte er mit seiner Familie nach Griechenland zurück.

Im Juli 1997 stellte der Kläger einen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld. In dem Antrag gab er an, in Griechenland sozialversichert zu sein. Der Antrag des Klägers blieb ohne Erfolg. Die Familienkasse begründete ihre ablehnende Entscheidung damit, der Kläger sei als Beamter für die Bank in Griechenland in Deutschland tätig. Gemäß der Verordnung (VO) (EWG) 1408/71 bestehe deshalb kein Anspruch auf Kindergeld.

Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, es treffe nicht zu, dass er als Beamter für die Bank tätig sei. Er arbeite dort vielmehr als Angestellter.

Mit Bescheid vom 8. Januar 1998 wies die Familienkasse den Einspruch zurück. Zur Begründung führte sie an, aufgrund der Tatsache, dass der Kläger in Griechenland sozialversichert sei, bestehe kein Anspruch auf Kindergeld.

Auf seine Klage wurde die Familienkasse durch Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19. August 1999 (10 K 2890/98 Kg) verpflichtet, für die Kinder des Klägers in der Zeit von Januar 1997 bis März 1999 Kindergeld festzusetzen. Das Gericht ging dabei davon aus, dass die Tätigkeit des Klägers in Deutschland nicht nur vorübergehend gewesen sei und seinem nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) bestehenden grundsätzlichen Kindergeldanspruch auch nicht Artikel 17 VO (EWG) Nr. 1408/71 entgegen gestanden habe, da die zuständige Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland (DVKA) auf Anfrage des Gerichtes mitgeteilt habe, dass Unterlagen über eine Ausnahmevereinbarung nicht vorgelegen hätten.

Vor diesem Hintergrund bat die Beklagte unter dem 21.09.1999 die AOK, für den Kläger Sozialversicherungsbeiträge nachzuerheben, da nach dem Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf von einer Beitragspflicht des Klägers in Deutschland auszugehen sei.

Unter dem 30.3.2001 unterbreitete das griechische Ministerium für Arbeit und Sozialversicherung – Direktion für Überstaatliche Sozialversicherung – (Direktion) der DVKA den Vorschlag, unter Anwendung des Artikel 17 VO (EWG) 1408/71 auf den Kläger für die Zeit vom 29.6.1994 bis zum 28.2.1999 ausschließlich die griechischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit anzuwenden. In einer Fußnote heißt es weiter:

„Für den Arbeitnehmer wurden vom Arbeitgeber Renten- und Krankenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 29.6.1994 bis zum 28.2.1999 regelmäßig und werden laufend gezahlt”.

Die DVKA bat in mehreren Schreiben um Mitteilung, warum der Antrag so spät gestellt worden und ob der Kläger weiterhin an dem Abschluss der beantragten Ausnahmevereinbarung interessiert sei. Hierauf antwortete die Direktion unter dem 23.10.2002, dass „nach Telefongespräch sowohl mit dem Kläger als auch mit seinem Arbeitgeber die Freistellung von den deutschen Rechtsvorschriften noch im Interesse des Betreffenden” liege.

Die DVKA erwiderte (Schreiben vom 7.11.2002), dass der Kläger darauf hinzuweisen sei, dass er bei Zustandekommen der gewünschten Ausnahmevereinbarung gegebenenfalls das in Deutschland erhaltene Kindergeld zurückzahlen ...

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