Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerschuldnerschaft bei Räumung eines Zolllagers - Schätzung der Zollschuld
Leitsatz (amtlich)
1. Wer ein Zolllager räumt und dadurch die sich darin befindlichen Waren der zollamtlichen Überwachung entzieht, ist Schuldner der Einfuhrabgaben, auch wenn er nicht weiß, dass es sich bei den geräumten Räumlichkeiten um ein Zolllager handelt.
2. Liegen keine Bestandsaufzeichnungen vor, darf die Zollbehörde Art und Menge der Waren, die aus dem Zolllager entfernt wurden, nach § 162 AO und den Zollwert nach der Schlussmethode schätzen.
Normenkette
UZK Art. 5 Nr. 27, Art. 74 Abs. 3, Art. 79 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 Buchst. a, Art. 124 Abs. 1 Buchst. h; AO § 162
Tatbestand
I.
Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Einfuhrabgabenbescheids wegen Zoll und Einfuhrumsatzsteuer.
Der A GmbH (im Folgenden: A) war unter der Anschrift Im X-Straße, ... B, ein Zolllager bewilligt worden. Da die A erhebliche Mietschulden für die Räume des Zolllagers hatte, kündigte ihre Vermieterin mit Schreiben vom 21.05.2016 das Mietverhältnis und beauftragte den Antragsteller, das Vermieterpfandrecht auszuüben. Der Antragsteller wurde auch beauftragt, die im Mietobjekt vorhandenen Gegenstände zu inventarisieren. Nachdem der Antragsteller von einem Mitarbeiter der A einen Schlüssel zu den Lagerräumen erhalten hatte, räumte er das Lager, ohne zu wissen, dass es sich um ein Zolllager handelte. Dem Antragsgegner teilte er mit E-Mail vom 27.07.2016 mit, dass sich die Gegenstände "in der Nähe von C, D, Y-Straße" befänden.
Nachdem der Antragsgegner von der Räumung des Zolllagers erfahren und dem Antragsteller rechtliches Gehör gewährt hatte, setzte er mit Einfuhrabgabenbescheid vom 20.12.2016 gegen den Antragsteller 11.883,57 € Zoll und 93.240,07 € Einfuhrumsatzsteuer, insgesamt 105.123.65 €, fest. Durch das Entfernen der Nicht-Unionswaren aus dem Zolllager seien diese der zollamtlichen Überwachung entzogen worden. Mangels gegenteiliger Feststellungen sei die Zollschuld gemäß Art. 79 Abs. 2 Buchst a) i. V. m. Art. 85 Abs. 2 S. 1 UZK am 30.06.2016 - dem Tag, an dem die Räumung des Zolllagers bemerkt worden sei - entstanden.
Der Antragsteller sei Zollschuldner, weil er die Waren aus dem Zolllager entfernt und sie damit der zollamtlichen Überwachung entzogen habe (Art. 79 Abs. 3 Buchst. a) i. V. m. Art. 134 Abs. 1 UAbs. 2 UZK). Es sei unerheblich, ob der Antragsteller gewusst habe, dass es sich bei den Räumen um ein Zolllager gehandelt habe.
Auch die Herkunftsangabe "Made in Germany" verweise nur auf einen möglichen zollrechtlichen Ursprung in Deutschland, der wiederum nur bedingt einen Rückschluss auf den zollrechtlichen Status zulasse. Auch Unionswaren könnten ihren Status verlieren (Art. 154 UZK). Es sei auch unerheblich, dass der Antragsteller nur als Dienstleister gehandelt habe. Der Antragsteller werde als Gesamtschuldner mit der A in Anspruch genommen.
Für die Berechnung der Abgaben seien die bei Lagerräumung vorhandenen Waren auf der Grundlage der abgegebenen Zollanmeldungen zum Zolllager-verfahren seit Bestehen des Zolllagers sowie der bei dem Antragsgegner vorhandenen Angaben aus Inventurmeldungen und der über ATLAS eindeutig zuzuordnenden Lagerabgänge (Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr / Wiederausfuhr) ermittelt worden. Danach lägen zu insgesamt 894.124 Stück Waren verschiedener Codenummern mit einem Zollwert von 478.853,65 € keine Nachweise darüber vor, dass diese eine neue zollrechtliche Bestimmung erhalten hätten. Somit sei davon auszugehen, dass sich diese bei Räumung des Zolllagers noch dort befunden hätten. Dem Bescheid war eine Aufstellung der nach Auffassung des Antragsgegners aus dem Zolllager entfernten Gegenstände beigefügt (...). Die Aufstellung ist nach Warenart, Warenmenge, KN-Position und Zollwert aufgeschlüsselt und enthält die auf die einzelnen Waren entfallenden Beträge an Zoll und Einfuhrumsatzsteuer. Nach der Liste handelt es sich um Kfz-(Verschleiß-)Teile und Werbeartikel (Kugelschreiben, Schlüsselanhänger, T-Shirts, Mützen, Taschenlampen, Jacken, Feuerzeuge, Tassen, Taschen/Rücksäcke, Regenschirme, Fahnen, Pumpen, Wanduhren, Klebeband, Pavillons und Regalhaken).
Mit Schreiben vom 03.01.2017 legte der Antragsteller Einspruch gegen den Einfuhrabgabenbescheid ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Die in der Anlage zum Einfuhrabgabenbescheid aufgeführten Gegenstände seien tatsächlich nicht vorhanden gewesen.
Gegen die mit Bescheid vom 17.01.2017 erfolgte Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung legte der Antragsteller mit Schreiben vom 02.02.2017 Einspruch ein. Der Antragsteller sei nicht Eigenbesitzer der Waren gewesen. Die Lagerware sei noch nicht veräußert. Die erneute Lagereinrichtung sei möglich. Ein Großteil der Kartons sei mit "Made in Germany" gekennzeichnet gewesen. Der Höhe nach sei der Bescheid rechtswidrig. Bei Lagerräumung seien zahlreiche Regale im Zolllager leer gewesen. Es müsste also Ware durch die Mieterin oder Dritte entfernt worden sei...