Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines gegen den Gewerbesteuerbescheid eingelegten Einspruchs, der den Gewerbesteuermessbescheid betrifft
Leitsatz (amtlich)
1. Auch der durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe oder einen Rechtsanwalt - fälschlich - gegen den Gewerbesteuerbescheid eingelegte Einspruch ist grundsätzlich einer Auslegung dahin zugänglich, dass der Gewerbesteuermessbescheid angegriffen werden soll. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich aus der Einspruchsbegründung unzweifelhaft ergibt, dass die Streitfrage den Grundlagenbescheid betrifft.
2. Ordnet das Finanzamt auf den zusammen mit dem Einspruch gestellten Antrag das Ruhen wegen eines Musterverfahrens an, spricht dies auch dafür, dass der Einspruch als gegen den Gewerbesteuermessbescheid gerichtet anzusehen ist, denn die Ruhens-Anordnung setzt einen zulässigen Einspruch voraus.
Normenkette
AO § 89 Abs. 1 S. 1, § 357 Abs. 3, § 363
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Einspruch der Klägerin dahingehend ausgelegt werden kann, dass er sich gegen die Gewerbesteuermessbescheide richtet.
Die Klägerin vermittelte und veranstaltete Pauschalreisen und schloss zwecks Organisation der von ihr angebotenen Pauschalreisen mit den Leistungsträgern vor Ort (Hoteliers) Verträge über Hotelzimmer bzw. -kontingente ab. Ab dem Jahr 2013 war die Klägerin Organgesellschaft der A GmbH (Organträgerin).
In 2017 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung für den Prüfungszeitraum 2011 und 2012 statt. Dabei wurden unter Hinweis auf das Zwischenurteil des Finanzgerichts Münster vom 4. Februar 2016 (Az. 9 K 1472/13 G) die von der Klägerin für die Anmietung von Hotelzimmerkontingenten getätigten Aufwendungen anteilig als Miet- und Pachtzinsen i.S.d. § 8 Nr. 1 Buchst. d und e des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) behandelt und in Höhe von ... € (2011) bzw. ... € (2012) hinzugerechnet. Die dem Prüfungszeitraum zugrundeliegenden Gewerbesteuermess- sowie Gewerbesteuerbescheide wurden mit Bescheid jeweils vom 6. Dezember 2017 für die Streitjahre entsprechend geändert und 50 % des Hotelaufwands als Miet- und Pachtzinsen hinzugerechnet.
Unter dem 18. Dezember 2017 legte die Klägerin, vertreten durch ihren steuerlichen Berater, "Einspruch gegen die Gewerbesteuerbescheide 2011 sowie 2012, jeweils mit Datum vom 06.12.2017" ein. Zur Begründung führte sie aus, der Einspruch richte sich gegen die gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen aus Hotelkontingenten, die sie, die Klägerin, zwecks Unterbringung ihrer Kunden erwerbe. Sie beantragte, das Verfahren bis zur höchstrichterlichen Entscheidung über diese Rechtsfrage ruhen zu lassen.
Am 5. Januar 2018 teilte das seinerzeit zuständige Finanzamt Hamburg-1 der Klägerin unter Hinweis auf "die Einsprüche .... gegen die Bescheide über die Gewerbesteuer für 201[1] und 2012" mit, dass das Einspruchsverfahren antragsgemäß ruhend gestellt werde, da das beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Verfahren unter dem Az. III R 22/16 (irrtümlich bezeichnet I R 28/16) für das Einspruchsverfahren entscheidungserheblich sei.
Der mittlerweile zuständig gewordene Beklagte teilte der Klägerin unter dem 28. Januar 2020 mit, dass er beabsichtige, die Einsprüche der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen. Die erhobenen Einwendungen richteten sich zwar inhaltlich gegen die Gewerbesteuermessbescheide. Angefochten worden seien jedoch lediglich die Bescheide über die Gewerbesteuer. Diese seien im Verhältnis zu den Gewerbesteuermessbescheiden lediglich Folgebescheide i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Die Feststellungen in den Gewerbesteuermessbescheiden seien für die Bescheide über die Gewerbesteuer nach § 171 Abs. 10 AO bindend.
Mit Einspruchsentscheidung vom 6. März 2020 wies der Beklagte die Einsprüche unter dem Hinweis auf sein Schreiben vom 28. Januar 2020 zurück. Hiergegen richtet sich die Klage vom 8. April 2020. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die mit Schreiben vom 18. Dezember 2017 geltend gemachten Einwendungen hätten sich gegen die geänderten Gewerbesteuermessbescheide gerichtet. Bei der Bezeichnung als "Einspruch gegen die Gewerbesteuerbescheide [...]" handele es sich um ein bloßes Schreibversehen, was sowohl das Finanzamt Hamburg-1 als auch der Beklagte erkannt hätten. Dies zeige sich nicht zuletzt daran, dass das Finanzamt Hamburg-1 das Einspruchsverfahren im Hinblick auf das laufende Revisionsverfahren vor dem BFH ruhend gestellt habe. Die Ruhendstellung sei im Hinblick auf die Gewerbesteuermessbescheide erfolgt, denn nur insoweit sei der Ausgang des anhängigen Revisionsverfahrens auch entscheidungserheblich gewesen. Auf die bloße Falschbezeichnung der Einsprüche könne sich der Beklagte daher nicht berufen. Im Übrigen sei das Einspruchsschreiben auch nach der ständigen Rechtsprechung des BFH entsprechend dem Grundsatz rechtsschutzgewährender Auslegung dahingehend auszulegen, dass sich die Einsprüche gegen die geänderten Gewerbesteuermessbescheide richteten.
Entgegen der Ansicht des Beklagten lägen auch di...