Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (BFH VII B 135/21)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung: Erlass von Säumniszuschlägen gegenüber einem an sich pünktlichen Steuerzahler
Leitsatz (amtlich)
1. Ob eine natürliche oder juristische Person als pünktlicher oder nicht pünktlicher Steuerzahler zu betrachten ist, beurteilt sich nicht anhand einer einzelnen Steuerart, sondern ist in einer Gesamtschau zu prüfen, bei der alle für das Verhältnis zwischen dem Steuerzahler und der Finanz- bzw. Zollverwaltung relevanten Umstände heranzuziehen sind.
2. Säumniszuschläge, die gegenüber einem an sich pünktlichen Steuerzahler erhoben werden, verlieren ihren Zweck als Druckmittel, den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung seiner steuerrechtlichen Verbindlichkeiten anzuhalten, was bereits für sich genommen einen hälftigen Erlass der verwirkten Säumniszuschläge rechtfertigt.
3. Hat die Säumnis des Steuerzahlers keinen oder nur einen geringfügigen Verwaltungsaufwand verursacht, ist auch der weitere, mit der Erhebung von Säumniszuschlägen verfolgte Zweck entfallen mit der Folge, dass als ermessensfehlerfreie Entscheidung allein ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge in Betracht kommt.
Normenkette
AO §§ 227, 240; FGO §§ 101-102
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den Erlass von Säumniszuschlägen aus Billigkeitsgründen.
Die Klägerin meldete beim beklagten Hauptzollamt für den Monat April 2017 mit ihren Steueranmeldungen zu den Registrierzeichen XXX-1, XXX-2 und XXX-3 Energiesteuer an, die am 12.06.2017 - ein Montag - fällig war. Die Klägerin entrichtete die fälligen Energiesteuerbeträge erst am 29.06.2017; die bis zu diesem Zeitpunkt verwirkten Säumniszuschläge über ... Euro zahlte sie am 14.08.2017.
Mit Schreiben vom 14.08.2017 beantragte die Klägerin beim beklagten Hauptzollamt den Erlass der Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen. Sie führte insoweit aus, dass versehentlich eine fristgerechte Überweisung unterblieben sei. Die Gründe hierfür basierten auf erheblichen Umstrukturierungsmaßnahmen im Mai und Juni 2017 für ihren Gesellschaftsbereich und auf kurzfristigen Personalausfällen im Geschäftsbereich Energie. Als sie - die Klägerin - die Säumnis bemerkt habe, sei die Überweisung sofort nachgeholt worden. Da es sich bei der verspäteten Zahlung um ein erstmaliges Versäumnis handele, seien die Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen zu erlassen.
Mit Bescheid vom ... 2017 lehnte das beklagte Hauptzollamt den begehrten Billigkeitserlass unter Hinweis darauf ab, dass in der Vergangenheit weitere Steuerentrichtungen nach Fälligkeit festgestellt worden seien. Zwar sei in diesen insgesamt 19 Fällen die Zahlung jeweils innerhalb der Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO erfolgt. Steuerschuldner, die die Steuer wiederholt unter Ausnutzung der Schonfrist zahlten, stellten indes keine pünktlichen Steuerzahler dar mit der Folge, dass die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme ausscheide.
In ihrem gegen den Bescheid vom ... 2017 gerichteten Einspruch wandte die Klägerin u.a. ein, dass eine Ausnutzung von Zahlungsfristen und Zahlungsschonfristen gesetzlich normiert sei und keine Säumnis zur Folge habe.
Mit Einspruchsentscheidung vom ... 2020 wies das beklagte Hauptzollamt den Einspruch der Klägerin im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass die Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO die Fälligkeit nicht hinausschiebe; vielmehr trete die Säumnis bereits mit Ablauf des Fälligkeitstages ein mit der Folge, dass Säumniszuschläge verwirkt würden. Die Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO stelle eine vom Gesetz vorweggenommene Billigkeitsmaßnahme dar, um in Fällen geringfügiger Zahlungsüberschreitungen auf eine Erhebung von Säumniszuschlägen verzichten zu können. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
Mit ihrer am ... 2020 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Sie betont erneut, dass durch ein entschuldbares Versehen eine fristgerechte Überweisung der Steuerbeträge nicht veranlasst worden sei. Die Gründe hierfür seien erhebliche konzerninterne Umstrukturierungsmaßnahmen in den Zeiträumen ab 2017 in fast allen Geschäftsbereichen. Zudem verließen im Fälligkeitszeitpunkt mehrere Mitarbeiter aus dem Geschäftsbereich Energie kurzfristig den Konzern. Zum Aufgabenbereich dieser Kollegen habe auch die Überwachung und Veranlassung fristgerechter Zahlungen gegenüber den Hauptzollämtern gehört. Sie - die Klägerin - sei in der Vergangenheit stets ihren Zahlungsverpflichtungen vollumfänglich nachgekommen. Eine Ausnutzung von Zahlungsfristen und Zahlungsschonfristen sei gesetzlich normiert und habe bei entsprechender Zahlung keine Festsetzung von Säumniszuschlägen zur Folge. Das Hauptzollamt A habe sich bei gleichem Sachstand ihrer Rechtsauffassung angeschlossen und ihr die gegenüber dem Hauptzollamt A entstandenen Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen erlassen. Die Abgabe der Energiesteueranmeldungen für April 201...