Revision eingelegt (BFH VIII R 12/22)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung: Vorläufige Festsetzung von Erstattungszinsen
Leitsatz (amtlich)
1. Die vorläufige Festsetzung von Erstattungszinsen für Zeiträume ab 2019 kann nicht ermessensfehlerfrei aufgehoben und die Entscheidung über die Zinsfestsetzung ausgesetzt werden nach § 165 Abs. 1 Satz 4 AO i.V.m. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO.
2. Eine auf Aufhebung eines Vorläufigkeitsvermerks zur Festsetzung von Erstattungszinsen gerichteten Klage ist nicht deshalb wegen fehlender Klagebefugnis unzulässig, weil eine Änderung des Zinsbescheides zuungunsten der Kläger ohnehin nicht erfolgen kann (so aber FG Münster, Urteil vom 14. September 2006, 3 K 4376/04 Erb, EFG 2007, 83), denn der Kläger ist bereits durch die sich aus der Vorläufigkeit ergebende Rechtsunsicherheit beschwert.
3. Die Anordnung der Vorläufigkeit der Festsetzung von Erstattungszinsen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes von 0,5 % pro Monat war ermessensfehlerhaft, weil bereits im Zeitpunkt der vorläufigen Festsetzung feststand, dass eine spätere Änderung der Steuerfestsetzung wegen § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ausschied.
Normenkette
AO § 165 Abs. 1 S. 2 Nrn. 3, 2, S. 4, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, §§ 233a, 239 Abs. 1 S. 1; FGO §§ 68, 102
Tatbestand
Die Kläger begehren die endgültige Festsetzung von Erstattungszinsen.
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Ihre Einkommensteuererklärung 2017 ging am 10. April 2019 bei dem Beklagten ein. Daraufhin wurden sie mit Einkommensteuerbescheid vom 20. September 2019 veranlagt. Mit Bescheid zur Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer wurden Erstattungszinsen in Höhe von 232 € festgesetzt. Die Zinsfestsetzung erging vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Abgabenordnung (AO). Insoweit enthält der Bescheid folgenden Hinweis:
"Die Festsetzung von Zinsen ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nummer 3 AO in Verbindung mit § 239 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes von 0,5 Prozent pro Monat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO).
Sollte aufgrund einer diesbezüglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diese Zinsfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen; ein Einspruch ist daher insoweit nicht erforderlich. Abhängig von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte unter Umständen auch eine Aufhebung oder Änderung zu Ihren Ungunsten erfolgen..."
Durch Bescheid vom 7. Oktober 2019 erfolgte eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. In diesem Zusammenhang erhöhten sich die Erstattungszinsen auf 238 €. Diese wurden wiederum vorläufig nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO festgesetzt. Auch dieser Bescheid enthielt den oben angeführten Hinweis.
Mit Einspruch vom 17. Oktober 2019 wandten sich die Kläger gegen die Vorläufigkeit der Zinsfestsetzung.
Durch Einspruchsentscheidung vom 27. April 2020 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger zurück. Aus dem BMF-Schreiben vom 2. Mai 2019 (BStBl. I 2019, 448) ergebe sich, dass sämtliche Festsetzungen von Zinsen im Sinne des § 233 Satz 1 AO vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO durchzuführen seien. Dementsprechend seien auch die Erstattungszinsen nach § 233a AO vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO festzusetzen. Die Zinsfestsetzungen erfolgten vorläufig im Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerden, mit denen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes geltend gemacht würden. Zwar sei nach der Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO eine Änderung eines Bescheides zuungunsten des Steuerpflichtigen aufgrund einer geänderten Rechtsprechung grundsätzlich selbst dann ausgeschlossen, wenn die Festsetzung im Hinblick auf das anhängige Verfahren vorläufig erfolgt sei. Eine rückwirkende Anpassung der Zinsbescheide wäre jedoch ausnahmsweise möglich, wenn das Bundesverfassungsgericht im Tenor seiner Entscheidung und damit mit Gesetzeskraft eine derartige Möglichkeit eröffne. Eine Änderung der vorläufig festgesetzten Erstattungszinsen nach§ 165 Abs. 2 Satz 1 AO sei damit nicht völlig ausgeschlossen, die Aufnahme des Vorläufigkeitsvermerks bei der Festsetzung von Erstattungszinsen deshalb nicht ermessensfehlerhaft.
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer am 2. Juni 2020 erhobenen Klage.
Nach Klagerhebung hat der Beklagte durch Bescheid vom 30. Dezember 2021 den Zinsbescheid zur Einkommensteuer 2017 vom 7. Oktober 2019 dahingehend geändert, dass er die Zinsfestsetzung aufgehoben und "teilweise" ausgesetzt hat nach § 165 Abs. 1 Satz 4 AO. Der Bescheid enthält hinsichtlich der Zinsfestsetzung unter anderem folgende Erläuterung:
"Die Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit Satz 2 Nummer 2 und§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO...