Revision eingelegt (BFH I R 11/21)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 1 AStG bei Begünstigten einer Familienstiftung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 1 AStG betreffend ausländische Familienstiftungen setzt auch nach der Einfügung des § 15 Abs. 6 AStG mit dem Jahressteuergesetz 2009 voraus, dass die Familienstiftung eigene Einkünfte erzielt. Die wirtschaftliche Zuordnung streitbefangener Vermögenswerte und Einkünfte nach § 39 AO ist für eine Anwendung des § 15 AStG weiterhin vorrangig zu prüfen (vgl. zur alten Rechtslage, BFH, Urteil vom 22. Dezember 2010, I R 84/09, BStBl. II 2014, 361).
2. Das Tatbestandsmerkmal der Entziehung der rechtlichen und tatsächlichen Verfügungsmacht nach§ 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG ist nicht eng, also etwa allein auf eine zivilrechtliche Verfügungsbefugnis bezogen, sondern weiter auszulegen. Da die Vorschrift ertragsteuerlichen Charakter hat, ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich. Der Gesetzgeber wollte neben der rechtlichen Verfügungsbefugnis auch die tatsächliche Verfügungsmacht umfasst wissen.
3. Für die von § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG geforderte Entziehung der rechtlichen und tatsächlichen Verfügungsmacht ist maßgeblich, dass keine der im Sinne des Abs. 2 berechtigten Personen diese innehat.
4. Die tatsächliche Verfügungsmacht kann unter den konkreten Umständen des Einzelfalls auch bejaht werden, wenn eine oder mehrere der im Sinne des § 15 Abs. 2 AStG berechtigten Personen über die Stimmrechtsmehrheit in dem Gremium einer Stiftung verfügen oder diese gesichert erlangen können, das die wesentlichen Entscheidungen über das Vermögen der Stiftung trifft und durchsetzen kann.
5. Für diese Prüfung ist nicht allein die Satzung maßgeblich, sondern es sind auch weitere die Verfügungsmacht berührende Rechtsakte wie insbesondere Testamente, Nebenstatuten, Weisungen, Side Letters oder Verträge maßgeblich, die von dem Stifter, den Personen nach § 15 Abs. 2 AStG oder den Stiftungsorganen ausgestellt worden sind.
Normenkette
AStG §§ 15, 18; AO § 39
Tatbestand
Die Klägerin, eine ausländische Familienstiftung, wendet sich gegen eine Zurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz (AStG).
Die Klägerin wurde mit Stiftungsurkunde vom ...1973 durch Frau A und Frau B im Sinne der Art. 552 ff. des liechtensteinischen Personen- und Gesellschaftsrechts vom 20. Januar 1926 (PGR) errichtet.
Die Stifterin Frau B hatte drei Söhne, C, D, und E.
Die Stifterinnen widmeten der Stiftung Beteiligungen an Kommanditgesellschaften und Geschäftsanteile an inländischen und ausländischen Kapitalgesellschaften. Frau A widmete der Stiftung ihre Beteiligung an der F GmbH & Co. KG (F KG) mit Sitz in ... und ihren Geschäftsanteil an der G GmbH mit Sitz in .... Frau B widmete der Stiftung ihre Beteiligung an der F KG, die Geschäftsanteile an der G GmbH, an der H Ltd. mit Sitz in ..., J, und an der K Ltd., ..., L, sowie ihre Aktien an der M AG und an der N S.A.
Es wurden zwei Stiftungsratsmitglieder bestellt. Zu Mitgliedern des Kuratoriums wurden Frau B und zwei weitere Personen bestellt. Mit der gesetzlichen Repräsentanz wurde die O mit Sitz in ..., Liechtenstein, betraut.
Die seit dem ... 1991 gültigen, neugefassten Statuten haben folgenden streiterheblichen Inhalt:
Der Zweck der Stiftung ist die Verwaltung des Stiftungsvermögens zum Wohle der Familie der Stifterinnen und die Verteilung von Erträgnissen des Stiftungsvermögens und/oder Verteilung von Stiftungsvermögen selbst an die Begünstigten (Art. 2). Begünstigte sind die Stifterin und deren Abkömmlinge, die Vollerben sind, damit auch die beigeladenen Herren D und E (Art. 8), Herr C ist als Nicht-Vollerbe nicht Begünstigter und nimmt nur mittelbar unterquotal an Ausschüttungen teil (ergänzende Wirkung des Testaments vom ... 1992, s.u.).
Organe der Stiftung sind der Stiftungsrat und das Kuratorium (Art. 4).
Der Stiftungsrat besteht aus bis zu drei Personen und führt die Geschäfte der Stiftung grundsätzlich frei, allerdings bedarf er bei wesentlichen Vermögensverfügungen, Umstrukturierungen oder Umbesetzungen innerhalb der gehaltenen Beteiligungen der vorherigen Zustimmung des Kuratoriums (Art. 5).
Nach den alten Statuten vom ... 1973 bestand das Kuratorium aus 3 Personen, und die Stifterin Frau B war auf Lebenszeit Vorsitzende (§ 6 Abs. 1 und 2). Nach den neuen Statuten besteht das Kuratorium aus 3-5 Mitgliedern und die Beigeladenen sind feste Kuratoriumsmitglieder auf Lebenszeit (Art. 6). Die Beigeladenen bestimmen die übrigen ein bis drei Kuratoriumsmitglieder (Art. 6 Abs. 4) und können sie jederzeit abberufen (Art. 6 Abs. 5). Kuratoriumsvorsitzender ist im jährlichen Wechsel einer der Beigeladenen (Art. 6 Abs. 3); der Kuratoriumsvorsitzende lädt zu den Sitzungen des Kuratoriums mit einer Frist von 10 Tagen ein. Das Kuratorium ist beschlussfähig, wenn zwei Mitglieder anwesend sind; bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende (Art. 6 Abs. 10). Bei Zustimmung aller Kuratoriumsmitglieder ist die Beschlussfassun...