Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldhafte Fristversäumnis bei längerer Abwesenheit
Leitsatz (amtlich)
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn bei längerer Abwesenheit keine Vorkehrungen gegen eine evtl. mögliche Fristversäumnis getroffen werden.
2. Einen steuerlich vertretenen Steuerpflichtigen trifft der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er Schätzungsbescheide bestandskräftig werden lässt.
Normenkette
AO § 110 Abs. 2, §§ 172, 173 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Einkommensteuer-(ESt) und Umsatzsteuer-(USt)Bescheid 1998 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
Der Kläger erzielte als selbständiger pharmazeutischer Berater Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Seine Steuererklärungen für 1996 und 1997 hatte der Kläger jeweils nach Festsetzung eines Zwangsgeldes am 18.05.1998 (für 1996) und 22.10.1999 (für 1997) bei dem Beklagten eingereicht. Diese Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen wurden dem Kläger persönlich bekannt gegeben. Die Steuererklärungen enthielten jeweils den Hinweis, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei der Anfertigung der Erklärungen mitgewirkt habe und die Steuerbescheide diesem zugesandt werden sollten. Die ESt-Bescheide für 1996 und 1997 wurden dem Prozessbevollmächtigten bekannt gegeben.
Nachdem der Kläger seine ESt- und USt-Erklärungen für 1998 nicht fristgerecht abgegeben hatte, wurde gegen ihn - nach entsprechenden vorherigen Androhungen am 27.06.2000, 16.11.2000 und 12.02.2001 - mit Bescheiden vom 04.08.2000 und 20.03.2001 Zwangsgelder in Höhe von jeweils 100 DM bzw. 300 DM festgesetzt. Nachdem auch diese Zwangsmittel zunächst erfolglos blieben, setzte der Beklagte mit ESt-Bescheid 1998 vom 18.04.2001 ESt in Höhe von 8.870 DM und mit USt-Bescheid für 1998, ebenfalls vom 18.04.2001, USt in Höhe von 11.665 DM fest. Die Besteuerungsgrundlagen hatte der Beklagte jeweils geschätzt, wobei er von Umsätzen in Höhe von insgesamt 83.500 DM (USt: 13.165 DM, Vorsteuer 1.500 DM) und im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb von einem Gewinn in Höhe von 48.332 DM (Betriebseinnahmen: 96.665 DM, Betriebsausgaben: 48.333,50 DM) ausgegangen ist. Beide Bescheide wurden dem Kläger persönlich bekannt gegeben. Am 25.05.2001 gingen die Steuerbescheide für 1998 in dem Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers ein. Mit Schreiben vom 28.05.2001 (Bl. 80 der ESt-Akte) bat der Prozessbevollmächtigte um einen aktuellen Kontoauszug für seinen Mandanten und erklärte mit Schreiben vom 29.05.2001 (Bl. 78 ESt-Akte), dass der Kläger auf die Steuerrückstände 10.000 DM sofort und ab Juni 2001 monatliche Raten in Höhe von 3.000 DM bezahlen werde. Zugleich kündigte er die kurzfristige Abgabe der zur Zeit bearbeiteten Steuererklärungen für 1998-2000 an. Die von dem Kläger am 25.06.2001 unterschriebene ESt- und USt-Erklärung für 1998 ging bei den Beklagten am 27.06.2001 ein. Die ESt-Erklärung enthält wiederum den Hinweis, dass der Steuerbescheid dem Prozessbevollmächtigten zugesandt werden solle.
Mit Schreiben vom 29.06.2001, dem eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt worden war, teilte der Beklagte dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten mit, dass eine Veranlagung auf der Basis der abgegebenen Steuererklärungen nicht mehr erfolgen könne, da die entsprechenden Schätzungsbescheide bereits am 21.05.2001 rechtskräftig geworden seien. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO komme nicht in Betracht, da entsprechende Wiedereinsetzungsgründe weder vorgetragen noch ersichtlich seien.
Mit Schreiben vom 10.07.2001, bei dem Beklagten am 11.07.2001 eingegangen, legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen den ablehnenden Bescheid vom 29.06.2001 Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, dass der Kläger die Steuererklärungen für 1998 sehr spät eingereicht habe, da er sehr viel im Ausland, speziell in Russland, tätig sei. Die Fristversäumnis sei entschuldbar, da der Kläger sich bei Eingang der ESt- und USt-Bescheide für 1998 vom 18.04.2001 nicht in Deutschland aufgehalten habe und er - der Prozessbevollmächtigte - die Frist nicht habe wahren können, da er damals noch nicht beauftragt gewesen sei, die Bescheide in seinem Namen zu empfangen.
Mit Schreiben vom 20.07.2001 (Bl. 5 Rechtsbehelfsakte), dem eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt worden war, erläuterte der Beklagte, dass der Einspruch aus seiner Sicht keinen Erfolg haben könne, weil häufige berufsbedingte Auslandsaufenthalte eine Fristversäumnis nicht entschuldigen könnten, denn der Kläger habe für die rechtzeitige Kenntnisnahmemöglichkeit von fristauslösenden Zustellungen Vorkehrungen treffen müssen. Mit Schreiben vom 01.08.2001, bei dem Beklagten am 02.08.2001 eingegangen, legte der Prozessbevollmächtigte gegen den Bescheid vom 20.07.2001 wiederum Einspruch ein. Zur Begründung wies er erneut darauf hin, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, die Einspruchsfrist einzuhalt...