Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für einen (Teil-) Erlass von bestandskräftig festgesetzter Einkommensteuer aufgrund der vom BVerfG festgestellten, auf Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren beschränkte Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG
Leitsatz (amtlich)
Die Nichtigerklärung der Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG 1997 für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 durch das BVerfG rechtfertigt nicht in Fällen bestandskräftiger Verwaltungsakte die Annahme einer sachlichen Unbilligkeit i. S. d. § 227 AO.
Die bestandskräftige Festsetzung der Einkommensteuer ist einer Billigkeitsregelung aufgrund des § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht mehr zugänglich.
Normenkette
GG Art. 3; AO §§ 163, 227; EStG (1997) § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b; BVerfGG § 79 Abs. 2 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Voraussetzungen für den Erlass von Einkommensteuer für die Jahre 1996 bis 1998 aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 09.03.2004 (2 BVL 17/02, BVerfGE 110, 94 bis 141; BGBl. 1 2004, 591, BStBl II 2005, 96) festgestellten und auf Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren beschränkten Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der für die Veranlagungszeiträume 1996 bis 1998 geltenden Neufassung des Einkommensteuergesetzes vom 16.04.1957 (BGBl. I Seite 821) erfüllt sind.
I.
Der Kläger erzielte in den Streitjahren (1996 bis 1998) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, aus Kapitalvermögen und bezog ... Berufsunfähigkeitsrenten. Des Weiteren erklärte der Kläger folgende Spekulationsgewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren in seinen Einkommensteuererklärungen:
1996 |
DM |
..., |
1997 |
DM |
..., |
1998 |
DM |
.... |
Diese Einkünfte wurden den Steuerfestsetzungen der Streitjahre zugrunde gelegt. Die Einkommensteuer für 1996 und 1997 wurde zuletzt mit Bescheiden jeweils vom 26.03.1999, festgesetzt (Einkommensteuerakte - ESt-A Band V für 1996 Blatt 13/14 ff und für 1997 Blatt 63 ff.).
Die Einkommensteuer für 1998 wurde mit Bescheid vom 26.03.1999 (ESt-A Band V Blatt 89 ff.) festgesetzt. Ein Änderungsbescheid erging am 09.04.1999 (ESt-A Band V Blatt 85 ff). Die Einkommensteuerbescheide für 1996 bis 1998 wurden bestandskräftig.
II.
1. Mit Urteil vom 09.03.2004 (a. a. O.) stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes in der für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 geltenden Neufassung des Einkommensteuergesetzes vom 16.04.1997 (BGBl. I Seite 821) mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG - wegen des Vollzugsdefizits unvereinbar und nichtig sei, soweit Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren betroffen seien, da ein gleichheitsgerechter Vollzug der gesetzlichen Regelung nicht gewährleistet sei.
2. Mit Schreiben vom 31.12.2004, beim Beklagten eingegangen am 03.01.2005, beantragte der Kläger wegen des o. g. Urteils des Bundesverfassungsgerichts die auf die 1996, 1997 und 1998 auf die Wertpapierveräußerungsgeschäfte entfallende Steuer gemäß § 227 Abgabenordnung (AO) aus Billigkeitsgründen und zur Wiederherstellung von Steuergerechtigkeit zu erlassen, oder die Bescheide gemäß § 163 AO zu ändern. Er führt hierzu aus, wenn das Bundesverfassungsgericht gemäß § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bestandskräftige Bescheide, die auf einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Rechtsnorm beruhen, unberührt lasse, so könne das nur für bestandskräftige Bescheide gelten, die nach der Anhängigkeit des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ergangen seien und somit hätten offen gehalten werden können.
3. Mit Bescheid vom 20.01.2005 lehnte der Beklagte sowohl den Erlassantrag als auch den Änderungsantrag (§ 163 AO) mit der Begründung ab, der gesetzliche Ausschluss der Änderungsmöglichkeit verbiete die Annahme einer sachlichen Unbilligkeit im Sinne der § 163, 227 AO.
4. Mit Schreiben vom 21.02.2005 legte der Beklagte dagegen Einspruch ein (Blatt 4 Rb-Akte) und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die streitgegenständlichen Bescheide bereits lange vor der Anhängigkeit des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht rechtskräftig gewesen seien und die Zulässigkeit des Einspruchs gar nicht gegeben gewesen sei, so dass dem Kläger die Nichteinlegung des Einspruchs nicht angelastet werden könne. Da hier keine schuldhafte Versäumnis eines Rechtsbehelfs vorliege, handele es sich um einen atypischen Einzelfall, bei dem durch einen Billigkeitserlass eine gerechte Entscheidung zu treffen sei.
5. Mit Einspruchsentscheidung vom 07.06.2006 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass persönliche Billigkeitsgründe mangels Erlassbedürftigkeit nicht vorliegen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber mit der Regelung in § 79 Abs. 2 BVerfGG dem Grundsatz der Rechtssicherheit Vorrang eingeräumt vor der F...