Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsätze aus medizinisch nicht indizierten Schönheitsoperationen sind - trotz unterschiedlicher Länderpraxis - umsatzsteuerpflichtig

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Die Steuerbefreiung für Umsätze aus heilberuflichen Tätigkeiten i.S.v. § 4 Nr. 14 UStG ist restriktiv dahin auszulegen, dass nur Tätigkeiten zur Diagnose, Behandlung und - soweit möglich - Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen steuerfrei sind. Medizinisch nicht indizierte Schönheitsoperationen fallen nicht unter diese Tätigkeiten.

2) Es genügt nicht, dass Operationen nur von einem Arzt durchgeführt werden dürfen; vielmehr müssen sie der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen. Nur dann liegt ärztliche Ausübung der Heilkunde vor.

3) Es besteht keine Möglichkeit, die Tätigkeit als Arzt erweiternd auszulegen, so dass die Rücknahme von Alterung, die Verbesserung der Körperform oder Behandlungen, die dem Patienten "gut tun", mit von der Steuerbefreiung umfasst würde.

4) Es liegt keine verbotene Ungleichbehandlung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn Leistungen aus medizinisch nicht indizierten Schönheitsoperationen in Deutschland umsatzsteuerpflichtig sind, in anderen EU-Staaten jedoch steuerfrei. Denn es besteht kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht. Die Steuerpflichtigkeit ist rechtmäßig, die Steuerfreiheit wäre rechtswidrig. Auf die rechtlichen Wertungen von § 1 Abs. 2 Heilpraktikergesetz kommt es für das Umsatzsteuerrecht mit seiner ganz anderen Zielsetzung nicht an.

5) Aus einer in der Vergangenheit unterschiedlichen Verwaltungspraxis folgt kein Vertrauensschutz. Vielmehr unterliegt die Umsatzbesteuerung dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung, nach dem für jedes Besteuerungsjahr die Tatsachen und umsatzsteuerrechtlichen Schlussfolgerungen erneut festzustellen sind.

 

Normenkette

UStG § 22; RL 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 c); RL 2006/112/EG Art. 132 (1) c); GG Art. 3 Abs. 1; Heilpraktikergesetz § 1 Abs. 2; UStG § 4 Nr. 14

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Umsätze des Klägers aus „Schönheitsoperationen” der Umsatzsteuer unterliegen, soweit es sich um medizinisch nicht indizierte Leistungen handelt.

I.

Der Kläger ist Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie; er führte selbständig in einer eigenen Praxis in den Streitjahren 1998 bis 2002 chirurgische Eingriffe im Bereich des Gesichtes, der Brust, der Arme und Beine und des Bauchraumes durch.

Der Kläger unterwarf die von ihm erzielten Umsätze in den Streitjahren 1998 bis 2002 nicht der Umsatzsteuer.

II.

Soweit ersichtlich, hatte in der Vergangenheit eine tatsächliche Übung der Finanzverwaltung bestanden, ärztliche Leistungen von „Schönheitschirurgen” gemäß § 4 Nr. 14 UStG nicht der Umsatzbesteuerung gemäß § 4 Nr. 14 UStG zu unterziehen.

Auch eine starke Literaturmeinung hatte eine „Tätigkeit als Arzt” bereits dann umsatzsteuerlich privilegieren wollen, wenn die Tätigkeit nur durch einen Arzt erfolgen konnte (vgl. Sauer in Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, 10. Aufl., Stand März 1999, Köln/Berlin/Bonn/ München, § 4 Nr. 14 Rz. 70).

Im Jahr 2000 hatte der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 14.09.2000 – C-384/98, UR 2000, 432) dagegen entschieden, dass medizinische Leistungen, die nicht in der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung bestehen, sondern auf der auf biologische Untersuchungen gestützten Feststellung einer anthropologisch-erbbiologischen Verwandtschaft, nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen.

Auch nach Ergehen dieser Entscheidung hatten die Finanzverwaltungen verschiedener Länder – allerdings nicht des Landes Nordrhein-Westfalen – entschieden, ärztliche Leistungen der Schönheitschirurgen seien weiterhin von der Umsatzsteuer befreit (vgl. z.B. OFD Karlsruhe v. 25.03.2002 – S 7170, UR 2002, 383; OFD Stuttgart v. 25.03.2002 – S 7170, UR 2002, 383).

Mit Urteil vom 12.11.2002 entschied das Finanzgericht Berlin (7 K 7264/02, DStRE 2003, 376; bestätigt durch BFH-Urteil vom 15.07.2004 – V R 27/03, BStBl II 2004, 862 – Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG-Beschluss vom 4.7.2006 – 1 BvR 2241/04) unter Verweis u.a. auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes Urteil vom 14.09.2000 (a.a.O.), dass medizinisch nicht indizierte Schönheitsoperationen der Umsatzsteuer unterliegen. Der Steuerpflichtige könne sich nicht auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG bzw. Art. 13 Teil A Abs. 1 c) der 6. Richtlinie 77/388/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuer – 6. RLEWG – berufen. In richtlinienkonformer Auslegung sei die Steuerbefreiung nach den vorbezeichneten Vorschriften beschränkt auf Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Leistungen, die keinem solchen therapeutischen...

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