Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bei medizinisch-technischen Produkten (Titanwendel)
Leitsatz (redaktionell)
Titanwendel sind keine "künstlichen Gelenke" i.S.d. Nr 52 Buchst. a der Anlage zu § 12 Abs 2 Nr 1 UStG und unterliegen damit nicht dem ermäßigten Steuersatz. Die Titanwendel stellen kein Implantat dar, welches dazu geeignet und bestimmt ist, die Funktion des natürlichen Gelenks möglichst vollständig zu erfüllen. Es handelt sich dabei lediglich um künstliches Material zur Stabilisierung von Humerusfrakturen.
Normenkette
Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Nr. 52 Buchst. b; Zolltarif - Kombinierte Nomenklatur (KN) Unterposition 9021.19; UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin betreibt einen Großhandel mit medizinisch-technischen Produkten. Sie vertreibt unter anderem eine Helix Wire. Es handelt sich um eine Spirale aus Titan (Titanwendel), die zur operativen Behandlung von Humerusfrakturen verwendet wird. Die Wendel wird über ein Bohrloch in den Markraum eingebracht und der aus dem Knochen ragende Teil des Implantats gekürzt.
Auf der Internetseite der Klägerin (…) wird die Helix Wire wie folgt beschrieben:
…
Die Klägerin unterwarf die Lieferungen der Titanwendel dem ermäßigten Steuersatz.
Für die Jahre 2001 bis 2004 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung statt. Nachdem die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt L die Titanwendel in einer unverbindlichen Zolltarifauskunft den „anderen Waren aus Titan” zugeordnet und diese in den Zolltarif 8108 9090 99 0 eingereiht hatte, vertrat der Prüfer die Auffassung, die Lieferungen der Titanwendel unterlägen dem allgemeinen Steuersatz. Auf Tz. 2.5 des Prüfungsberichts vom 19.09.2006 wird Bezug genommen.
Der Beklagte folgte der Auffassung des Prüfers und erließ am 20.04.2007 für die Jahre 2001 bis 2004 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide.
Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 15.05.2007. Die Klägerin machte geltend, die Titanwendel sei als Implantat anzusehen. Eine Anfrage bei der EU-Kommission habe ergeben, dass diese unter den Zolltarif 9021 31 00 (künstliche Gelenke) falle. Damit gelte der ermäßigte Steuersatz.
Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos. Der Beklagte führte an, dass Waren grundsätzlich nach ihrer objektiven Beschaffenheit in den Zolltarif eingereiht würden. Nach der zolltariflichen Auskunft handele es sich bei der Titanwendel um eine schraubenförmige Feder aus Titan. Diese zeige ein elastisches Verhalten, gebe unter Belastung nach und kehre nach Entlastung wieder in ihre ursprüngliche Gestalt zurück. Derartige Federn aus unedlen Metallen gälten gemäß Anmerkung 2 Buchst. b des Abschnitts XV der Nomenklatur als „Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit”. Diese gehörten gemäß Anmerkung 1 Buchst. f des Abschnitts XVIII nicht in das Kapitel 90. Damit rechne die Titanwendel auch nicht zu den „künstlichen Gelenken” im Sinne der Nr. 52 Buchst. a der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 Bezug genommen.
Mit der vorliegenden Klage vom 02.12.2008 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie macht geltend, bei der Titanwendel handele es sich um ein künstliches Gelenk. Abschnitt XVIII des Warenverzeichnisses für die Außenhandelsstatistik des Statistischen Bundesamtes sei zu entnehmen, dass eine andere Zuordnung als unter Position 9021 nicht möglich sei. Soweit in den Anmerkungen zu Kapitel 90 Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit anderen Kapiteln zugeordnet würden, sei festzuhalten, dass es sich bei der Titanwendel gerade nicht um ein Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit handele. Im Gegensatz zum Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 07.05.2002 (VII B 189/01, BFH/NV 2002, 1187) könne der Titanwendel keine andere Funktion als die eines Implantats beigemessen werden.
Die Argumentation des Beklagten verstoße gegen die Systematik des Warenverzeichnisses. In Anmerkung 1 Buchst. h des Abschnitts XV des Warenverzeichnisses heiße es: Zu Abschnitt XV gehören nicht Instrumente und Apparate des Abschnitts XVIII. Weiter heiße es unter Anmerkung 2: In der Nomenklatur gelten als „Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit” Waren der Position 73.07 (Rohrformstücke etc.), 73.12 (Litzen, Kabel, Seile etc.), 73.15 (Ketten etc.), 73.17 (Stifte, Nägel, Reißnägel etc.), 73.18 (Schrauben, Bolzen, Muttern etc.). Ferner seien Federn und Federblätter genannt. „Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit” seien auch Waren der Position 83.01 (Vorhängeschlösser etc.), 83.02 (Beschläge etc.), 83.08 (Verschlüsse etc.), 83.10 (Stopfen etc.). Alle diese Eigenschaften verkörpere die Titanwendel nicht. Damit sei sie kein „Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit”. Die Eingruppierung in der unverbindlichen Zolltarifauskunft sei falsch und dürfte auf eine fehlerhafte Weitergabe von Produktinformationen durch den Beklagten zurückzuführen sein. Es handele sich nicht wie behauptet um eine Feder. Die Titanwendel zeige kein elastisches Verhalt...