Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegekindschaftsverhältnis zu volljährigen Kindern
Leitsatz (redaktionell)
1) Ein familienähnliches Band i.S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG bedeutet, dass das Kind wie ein eigenes Kind versorgt und erzogen wird.
2) Mit einem volljährigen Kind besteht ein familienähnliches Band bei Hilflosigkeit oder Behinderung des Volljährigen oder bei Vorliegen sonstiger besonderer Umstände.
3) Ein besonderer Umstand ist z.B. eine bereits vor Eintritt der Volljährigkeit entstandene länger andauernde besondere emotionale Bindung.
4) Ist das Kind schon längere Zeit vor Eintritt der Volljährigkeit in den Familienhaushalt der Pflegeeltern aufgenommen worden, finden die gesteigerten Anforderungen keine Anwendung.
Normenkette
EStG § 64 Abs. 2 S. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Zahlung von Kindergeld ab Oktober 2003 hat. Dabei ist insbesondere streitig, ob das Kind trotz seiner Volljährigkeit in einem Pflegekindschaftsverhältnis zu seiner Pflegemutter stand und ob es keinen eigenen Hausstand unterhielt.
Der Kläger hat einen Sohn, A.B, der am 21. September 1985 geboren wurde. Der Sohn lebt seit 1993 – und auch heute noch – im Haushalt seiner Pflegemutter, Frau D.E, in C. Er befindet sich in der Ausbildung. Zwischen dem Sohn und Frau D.E besteht aufgrund des langjährigen Zusammenlebens in einem Haushalt eine besondere emotionale Bindung, die über den Zeitpunkt des Erreichens der Volljährigkeit des Sohnes im Jahre 2003 hinaus wirkt.
Der Sohn hatte keinen Kontakt zu seinem Vater, dem Kläger, sondern nur gelegentlich zu seiner Mutter. Für Frau D.E wurde Kindergeld festgesetzt.
Der Sohn hatte nach Vollendung des 18. Lebensjahres beim Jugendamt C einen Antrag auf Hilfe für junge Volljährige gestellt, dem in Höhe eines Lebensunterhalt i.H.v. 689 EUR entsprochen wurde. Daraufhin hatte die Stadt C (F) den Kläger mit Bescheid vom 23. Dezember 2003 zur Unterhaltsleistung i.H.v. 523 EUR gegenüber seinem Sohn herangezogen. Der Kläger zahlte den Unterhalt. Ab 1. Januar 2004 betrug er 337 EUR. Die leibliche Mutter leistet keinen Unterhalt an ihren Sohn.
Sodann beantragte der Kläger im Dezember 2003 die Festsetzung von Kindergeld für seinen Sohn zu seinen Gunsten.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2004 wurde der Antrag des Klägers bezogen auf den Zeitraum Oktober 2003 bis Februar 2004 abgelehnt. Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 14. Mai 2004 als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Klage trägt der Kläger vor, dass der Sohn kein Pflegekind mehr sei, da er das 18. Lebensjahr vollendet habe. Mit Eintritt der Volljährigkeit könne kein Pflegekindschaftsverhältnis mehr bestehen. Daher seien die Regelungen des § 64 EStG einschlägig, denn da Frau D.E wegen der Volljährigkeit des Sohnes keine Pflegemutter mehr sei, lebe der Sohn nicht mehr im Haushalt eines Kindergeldberechtigten. Nach § 64 Abs. 3 EStG sei folglich derjenige vorrangig kindergeldberechtigt, der dem Kind den höheren Unterhalt leiste. Da die Kindesmutter keine Unterhaltszahlungen leiste, und er 523 EUR monatlich als Unterhalt zur Verfügung stelle, sei er kindergeldberechtigt.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 6. Februar 2004 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung den Beklagten zu verpflichten, für die Zeit ab Oktober 2003 Kindergeld für das Kind A.B zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Zahlung von Kindergeld habe. Der Sohn sei, entgegen der Auffassung des Klägers, trotz der Vollendung des 18. Lebensjahres als Pflegekind der Frau D.E anzusehen, so dass § 32 Abs. 2 Satz 2 EStG greife. Frau D. Ehabe den Sohn seit längerem und auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres in ihren Haushalt aufgenommen. Es sei ein familienähnliches auf Dauer angelegtes Band zwischen ihr und dem Sohn entstanden. Das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern sei unterbrochen worden. Gelegentliche Kontakte mit der leiblichen Mutter seien insoweit unerheblich.
Die sich aus § 32 Abs. 2 Satz 2 EStG ergebende Kindergeldberechtigung der Frau D.E verdränge die ursprüngliche Kindergeldberechtigung der leiblichen Eltern. Diese Konkurrenzregelung folge der Regelung des § 64 Abs. 2 EStG, wonach derjenige das Kindergeld erhalte, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe, also Frau Kottmann. § 64 Abs. 3 EStG werde hierdurch verdrängt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Ablehnungsbescheid vom 6. Februar 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
I. Die Voraussetzungen für die Festsetzung und Zahlung von Kindergeld gemäß § 70 Abs. 1 EStG sind nicht erfüllt.
Denn im streitigen Zeitraum ab Oktober 2003 ist der Sohn A.B – entgegen der Auffassung des Klägers – als Pflegekind der Frau D.E anzusehen. Dies führt dazu, dass mehrere Kindergeldberechtigte bestehen – der Kläger als Vater ...