rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein deutsches Besteuerungsrecht für Rentenzahlungen der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung an in Kanada ansässigen beschränkt steuerpflichtigen Rentner, der fast das gesamte Berufsleben nicht in Deutschland gearbeitet hat
Leitsatz (redaktionell)
1. Werden deutsche Sozialversicherungsrenten (hier: der Deutschen Rentenversicherung Bund) an in Kanada ansässige beschränkt steuerpflichtige Rentenempfänger gezahlt, sind sie unter Art. 18 Abs. 1 DBA Kanada zu subsumieren. Art. 18 Abs. 3 Buchst. b DBA Kanada enthält zwar ebenfalls eine Regelung betreffend Leistungen aufgrund des Sozialversicherungsrechts eines Vertragsstaates, modifiziert jedoch lediglich die in Art. 18 Abs. 1 DBA Kanada grundsätzlich getroffene Besteuerungszuordnung und lässt das konkurrierende Zugriffsrecht des Quellenstaats (hier: Bundesrepublik Deutschland) unberührt (vgl. BFH, Urteil v. 20.12.2017, I R 8/16). Ein deutsches Besteuerungsrecht kann aber dem Grunde nach nur bestehen, wenn die Voraussetzungen in Art. 18 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a DBA Kanada bis Art. 18 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c DBA Kanada kumulativ erfüllt sind (Ausführungen zur abkommensspezifischen und nicht entsprechend dem OECD-Musterabkommen vorzunehmenden Auslegung der Vorschrift).
2. Ein deutsches Besteuerungsrecht nach Art. 18 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c DBA Kanada setzt voraus, dass das Ruhegehalt oder die Vergütung für Leistungen oder Tätigkeiten gezahlt wird, welche die Person innerhalb des Quellenstaates erbracht hat, während sie im Quellenstaat ansässig war. Bezüge aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, welche ausschließlich auf Beitragszahlungen in Zeiträumen beruhen, in welchen der beschränkt steuerpflichtige Rentenbezieher nicht in Deutschland, sondern im Ausland gelebt und dort Leistungen erbracht hat, fallen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 18 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c DBA Kanada (im Streitfall: kein deutsches Besteuerungsrecht, wenn der Rentenempfänger nur knapp 3 % seiner rentenrechtlichen Entgeltpunkte während einer rentenversicherten Tätigkeit zu Beginn seines Berufslebens in Deutschland und die übrigen 97 % der Entgeltpunkte durch Berufstätigkeiten im Ausland erworben hat).
Normenkette
AO § 2 Abs. 1; EStG 2016 § 1 Abs. 3-4, § 49 Abs. 1 Nr. 7, § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. a; DBA CAN 1981 Art. 18 Abs. 1 S. 2 Buchst. a, b, c, Abs. 2, 3 Buchst. c; GG Art. 59 Abs. 2
Tenor
1. Die Bescheide für 2016 bis 2018 über Einkommensteuer, jeweils vom 04.02.2020 und alle in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.01.2021, werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist für den Kläger wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die steuerliche Behandlung von Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung streitig.
Der am 23.06.1952 geborene Kläger hatte in den Streitjahren seinen Wohnsitz in Kanada. Seit dem 01.01.2016 bezieht er Leistungen von der Deutschen Rentenversicherung Bund (im Folgenden: DRVB).
Unter dem 02.07.2019 wies der Beklagte den Kläger auf eine grundsätzliche Steuerpflicht von aus der Bundesrepublik Deutschland bezogenen Rentenleistungen hin und kündigte an, für die Streitjahre die Einkommensteuer festzusetzen. Über die Möglichkeit, statt der Besteuerung als beschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes – EStG) den Antrag auf Behandlung als fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig zu stellen (§ 1 Abs. 3 EStG), wurde der Kläger belehrt.
Der Kläger teilte hierauf mit, er habe seine Rentenansprüche seit Beginn seiner beruflichen Tätigkeit am 01.08.1980 ausschließlich im Ausland erworben. Seit diesem Zeitpunkt habe er keinen Wohnsitz in Deutschland mehr unterhalten. Er sei der Auffassung, dass die Rentenleistungen nach dem maßgeblichen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkürzung und zur Amtshilfe in Steuersachen (im Folgenden: DBA Kanada) ausschließlich in Kanada zu versteuern seien.
Nachdem der Kläger auch in darauffolgenden Schriftwechseln bei seiner Auffassung blieb und keine Einkommensteuererklärungen einreichte, veranlagte der Beklagte den Kläger unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Rentenbezugsmitteilungen als beschränkt steuerpflichtig und setzte die Einkommensteuer für die Streitjahre durch Bescheide jeweils vom 04.02.2020 fest.
Hiergegen legte der Kläger jeweils form- und fristgerechte Einsprüche ein.
Zur Begründung führte der Kläger aus, er sei...