Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundstücksveräußerung zwischen einander nahestehenden Personen zu einem überhöhten Kaufpreis. mehrfache Berücksichtigung bei der Grunderwerbsteuer und der Schenkungsteuer
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein bestimmter Sachverhalt wird im Sinne des § 174 Abs. 1 AO mehrfach berücksichtigt, wenn die Veräußerung eines Grundstücks zwischen einander nahestehenden Personen zu einem überhöhten Kaufpreis sowohl in einem Grunderwerbsteuerbescheid als auch in einem Schenkungsteuerbescheid berücksichtigt wird.
2. Die Vereinbarung hinsichtlich des überhöhten Teilbetrags des Kaufpreises kann nur entweder als freigebige Zuwendung oder als (Teil-)Gegenleistung für das Grundstück bewertet werden, nicht dagegen als beides zugleich, denn freigebige Zuwendung und Gegenleistung schließen einander aus.
3. Sind sich die Vertragsparteien darüber einig, dass das verkaufte Grundstück einen Wert hatte, der erheblich unter dem im notariellen Vertrag genannten „Kaufpreis” lag, gehört der unangemessene Teil des vereinbarten Kaufpreises nicht zur Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne.
Normenkette
GrEStG § 8 Abs. 2, § 16 Abs. 3, § 3 Nr. 2 S. 1; AO § 174 Abs. 1
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 14.06.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.08.2022 verpflichtet, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 30.06.2011 zu ändern und die Grunderwerbsteuer auf EUR 16.800 festzusetzen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Entscheidung ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert beträgt EUR 21.700.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Grunderwerbsteuerbescheid zugunsten der Klägerin geändert werden kann und muss, um Übereinstimmung mit einem inzwischen ergangenen Schenkungsteuerbescheid herzustellen, namentlich um eine gleichzeitige Besteuerung sowohl mit der Schenkungsteuer als auch mit der Grunderwerbsteuer zu vermeiden.
1.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin der Klägerin war und ist Frau A.
Mit notariellem Vertrag vom 24.02.2011 verkaufte Herr B (der Lebensgefährte der Frau A) der Klägerin das mit einem Geschäftsgebäude bebaute Grundstück. Ausweislich des notariellen Vertrages wurde ein Kaufpreis von EUR 1.100.000 vereinbart. Im notariellen Vertrag heißt es dazu:
„Der Kaufpreis beträgt EUR 1.100.000,00, davon entfallen
- auf den Grund und Boden EUR 97.875,00
- auf das Gebäude EUR 1.002.125,00.”
Weiter wurde vereinbart, dass der Besitz an dem Grundstück am Ersten des der vollständigen Kaufpreiszahlung folgenden Monats auf den Käufer übergehen solle. Dazu findet sich im Vertrag die folgende Regelung:
„Der Käufer ist Mieter des Kaufgegenstandes. Die Vertragsparteien treffen dazu folgende Vereinbarungen:
Die Verpflichtung des Käufers zur Zahlung des nach dem Mietvertrag geschuldeten Mietzinses ruht ab dem Zeitpunkt des Besitzübergangs. Das zwischen den Vertragsparteien bestehende Mietverhältnis endet mit Eigentumsumschreibung auf den Käufer.”
Aufgrund dieses Vorgangs setzte der Beklagte (das Finanzamt C) mit Bescheid vom 30.06.2011 gegenüber der Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 3,5 % von EUR 1.100.000, somit EUR 38.500 fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Nunmehr ist aber gegenüber Herrn B ein Schenkungsteuerbescheid ergangen und bestandskräftig geworden. Dieser Schenkungsteuerbescheid beruht auf der Annahme, dass das Grundstück lediglich einen Wert von EUR 480.000 gehabt habe. Somit sei der darüber hinausgehende Betrag (EUR 1.100.000 abzüglich EUR 480.000 und abzüglich eines Ablösebetrages von EUR 14.681,25 als freigebige Zuwendung zu bewerten und daher schenkungsteuerpflichtig (dazu im Einzelnen unten 2.). Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass der Grunderwerbsteuerbescheid deshalb zu ändern sei; der Grunderwerbsteuer könne nur noch ein Kaufpreis von EUR 480.000 zugrundegelegt werden (dazu unten 3. und 4.).
2.
Wegen des Vorwurfs, dass der Kaufpreis von EUR 1.100.000 überhöht sei, und dass somit eine verdeckte Gewinnausschüttung und zugleich eine (gemischte) Schenkung vorliege, kam es zu einem Strafverfahren gegen Herrn B und Frau A.
Das Landgericht D verurteilte beide Personen mit Urteil vom 20.06.2016 – unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils – wegen versuchter Hinterziehung von Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer beziehungsweise wegen Beihilfe hierzu. Das Landgericht ging auf der Grundlage von insgesamt vier ihm vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen davon aus, dass das Grundstück einen tatsächlichen Wert von (zugunsten der Angeklagten) höchstens EUR 480.000 habe, und dass den Angeklagten dies bewusst gewesen sei. Somit handle es sich ...