rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung der Besteuerungsgrundlagen und Nachkalkulation
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
2. Die Methodenwahl steht im pflichtgemäßen Ermessen des FA. Die Methode muss auf zumutbare Weise zum Ergebnis mit der größten Wahrscheinlichkeit führen.
3. Die Nachkalkulation ist eine anerkannte Schätzungsmethode, die so zuverlässig ist, dass sie die Beweiskraft einer formell ordnungsmäßigen Buchführung widerlegen und in Höhe der errechneten Beträge nicht verbuchte Betriebseinnahmen nachweisen kann.
4. Bei einer Kassenführung ist zu fordern, dass Manipulationen der Kassenaufzeichnungen möglichst ausgeschlossen werden und das System programmmäßige Sicherungen und Sperren beinhaltet, die schon vom Zeitpunkt der ersten Speicherung an verhindern, dass einmal eingegebene Daten der nachträglichen Änderung preisgegeben sind. Entscheidend im Streitfall ist, dass nicht festgestellt werden kann, ob und welche Änderung noch im Excel-Programm auf dem PC vor dem Ausdruck auf das Papier erfolgt ist und nicht als solche gekennzeichnet wurde.
5. Die Offene-Posten-Buchhaltung (§ 146 Abs. 5 AO) befreit nur von der Führung eines Geschäftsfreundebuches als Nebenbuch und ersetzt nicht die entsprechenden Buchungen auf den Sachkonten.
6. § 393 Abs. 1 AO verbietet nach seinem ausdrücklichen Wortlaut Zwangsmittel gemäß § 328 AO, dazu zählen aber keine Schätzungen.
Normenkette
AO § 162 Abs. 2 S. 2, §§ 158, 147 Abs. 1 Nr. 1, § 146 Abs. 4-5, § 145 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 3, 2; HGB § 239 Abs. 3
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller (ASt) betreibt einen Groß- und Einzelhandel mit Getränken aller Art und einen „eBay-Shop”. Streitig ist im Einspruchsverfahren, ob in den angefochtenen Steuerbescheiden nach der Betriebsprüfung Besteuerungsgrundlagen vom Antragsgegner – dem Finanzamt (FA) – zutreffend geschätzt wurden.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 9. Dezember 2008 ([…]), die angefochtenen Steuerbescheide, die vorgelegten Akten und die ausgetauschten Schriftsätze ([…]) verwiesen.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung
der Bescheide vom 26. November 2009 über die Einkommensteuer für 2003 in Höhe von 83.823,33 EUR, für 2004 in Höhe von 45.498,00 EUR und für 2005 in Höhe von 51.282,00 EUR, der Bescheide vom 26. November 2009 über den Solidaritätszuschlag für 2003 in Höhe von 4.580,67 EUR, für 2004 in Höhe von 2.502,39 EUR und für 2005 in Höhe von 2.820,51 EUR sowie der Bescheide vom 26. November 2009 über den Gewerbesteuermessbetrag für 2003 in Höhe von 10.692,00 EUR, für 2004 in Höhe von 5.549,00 EUR und für 2005 in Höhe von 7.031,00 EUR wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit für die Dauer des Einspruchsverfahrens auszusetzen und die bereits verwirkten Säumniszuschläge aufzuheben,
hilfsweise die Beschwerde zuzulassen.
Der Antragsgegner (Finanzamt) beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag ist unbegründet.
1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) bestehen nach Aktenlage nicht.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung der Vollziehung (AdV) soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Solche Zweifel bestehen dann, wenn bei summarischer Überprüfung des Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (BFH-Beschlüsse vom 26. September 2007 I B 53, 54/07, BStBl II 2008, 415, m.w.N.; vom 14. Juli 2008 VIII B 176/07, BStBl II 2009, 117).
2. Nach diesem Maßstab bestehen nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheide. Im Streitfall erscheinen die Gewinnerhöhungen durch die Hinzuschätzung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abgabenordnung (AO) zutreffend.
a) Rechtsgrundlage für die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ist § 162 AO. Er regelt die Befugnisse des FA, im Verfahren der Festsetzung der Einkommensteuer des ASt die Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu schätzen, die er aus dem Verkauf von Waren erzielt hat. Die Vorschrift ist sinngemäß anzuwenden, soweit es die Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge und die Ermittlung des Gewerbeertrags durch den Antragsgegner angeht (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO). § 162 AO gilt aufgrund der Verweisung in § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO schließlich sinngemäß für die Überzeugung, nach welcher der Senat in ...