Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung des der Besteuerung unterliegenden Grundsachverhalts, wenn infolge der Verletzung der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen nicht festgestellt werden kann, dass überhaupt eine im Inland steuerpflichtige Tätigkeit ausgeübt worden ist
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird dem Finanzamt aufgrund einer Anzeige einer Bank nach dem Geldwäschegesetz bekannt, dass von einem zur Überzeugung des Gerichts unstreitig in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen, aber bisher nicht steuerlich erfassten ausländischen Staatsangehörigen erhebliche Geldbeträge von einem wohl eigenen Konto im Heimatland auf ein inländisches Konto überwiesen worden sind und wurde gegenüber dieser Bank eine Tätigkeit als Geschäftsführer im Baugewerbe angegeben, so ist eine Schätzung des Finanzamts, die Überweisungen stellten im Inland steuerpflichtigen Arbeitslohn infolge der Geschäftsführertätigkeit dar, nicht zu beanstanden, wenn der Steuerpflichtige seine erhöhte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt hat, indem er unter anderem den von ihm behaupteten Hauptwohnsitz im Heimatstaat und die behauptete Steuerpflicht in dem Heimatstaat nicht nachgewiesen, die Herkunft der streitigen Gelder nicht geklärt, Auskunftsersuchen der Steuerfahndung nicht beantwortet sowie keine Angaben zu seiner beuflichen Tätigkeit gemacht hat. Das Finanzamt durfte bei diesem Sachverhalt infolge der verweigerten Mitwirkung des Steuerpflichtigen auch dann den Schluss ziehen, dass die Geldeingänge aus – bisher verheimlichten – im Inland steuerpflichtigen Einkünften stammen, wenn keine im Inland ausgeübte Tätigkeit feststellbar ist.
2. Eine Schätzung des Grundsachverhalts kommt nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung entsprechend § 444 ZPO in Betracht, wenn das Sachverhaltsaufklärungsdefizit auf einer Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerpflichtigen beruht. Besteht die Verletzung der Mitwirkungspflichten darin, dass der Steuerpflichtige Tatsachen, die ausschließlich oder überwiegend seiner Wissenssphäre zugehören, nicht offenlegt, und ist der Sachverhalt anderweitig nicht aufklärbar, ist keine Entscheidung nach Beweislastregeln zu treffen.
3. Vielmehr kann das Finanzamt dann zum Nachteil des Steuerpflichtigen von einem Sachverhalt ausgehen, für den unter Berücksichtigung der Beweisnähe des Steuerpflichtigen und seiner Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhaltes eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Dies gilt auch für nicht bezifferbare Besteuerungsgrundlagen (vgl. BFH, Urteil v. 15.2.1989, X R 16/86, BStBl 1989 II S. 462).
4. Die Unsicherheiten einer Schätzung müssen vom Steuerpflichtigen in Kauf genommen werden; denn es muss vermieden werden, dass der pflichtwidrig handelnde Steuerpflichtige besser gestellt wird, als ein Steuerpflichtiger, der den ihm obliegenden Pflichten ordentlich und gewissenhaft nachkommt. Will der Steuerpflichtige eine abweichende Schätzung herbeiführen, muss er erweisbare Tatsachen oder Erfahrungssätze vortragen, die geeignet sind, zu dem Schluss zu gelangen, dass ein anderer als der von der Finanzbehörde geschätzte Betrag wahrscheinlicher ist (BFH, Beschluss v. 5.2.1993, VIII B 103/92, BFH/NV 1993 S. 351).
Normenkette
AO § 90 Abs. 2, § 162 Abs. 1, 2 S. 1, § 208 Abs. 1 Nr. 3; ZPO § 444; EStG § 1 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1 S. 1, § 19 Abs. 1; DBA RUS Art. 4 Abs. 1, 2 Buchst. b, Art. 15 Abs. 1-2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob der Beklagte wegen ungeklärter Geldflüsse aus dem Ausland zur Festsetzung von Einkommensteuer im Schätzungsweg berechtigt war.
Die Kläger sind Eheleute, die seit dem 1. März 2015 in einer im Streitjahr 2014 erworbenen Eigentumswohnung in der X-Straße 21 in M mit Hauptwohnsitz gemeldet sind. Zuvor, nämlich vom 1. Juli 2010 bis 1. März 2015, waren sie in der Y in M mit Hauptwohnsitz gemeldet. Bis zum 1. Juli 2010 haben sie ausweislich der Meldedaten in der W Straße 22 in Z gewohnt. Der Kläger ist russischer Staatsangehöriger; die Klägerin besitzt die deutsche und die kasachische Staatsangehörigkeit. Die Kläger waren in Deutschland steuerlich nicht erfasst.
Die Steuerfahndungsstelle des beklagten Finanzamts M erhielt aufgrund einer weitergeleiteten Verdachtsanzeige gemäß § 11 Geldwäschegesetz (GwG) der Deutschen Bank Filiale Bonn-Duisburg im Juli 2014 davon Kenntnis, dass der Kläger dort seit 27. Mai 2008 ein Konto unterhielt, für das auch die Klägerin sowie deren – ausweislich der von der Bank gespeicherten Daten – in G lebende Tochter A Verfügungsmacht besaßen. Bei der Kontoeröffnung hatte der Kläger angegeben, dass er Geschäftsführer im Baugewerbe sei. Auf dem Konto waren am 11. März, 7. und 24. April sowie 4. Juni des Streitjahres 2014 vier Geldbeträge in Höhe von insgesamt 235.405 EUR eingegangen, die von einem Konto bei der S-Bank in Moskau überwiesen worden waren. Die Überweisungen vom 7. und 24. April sowie 4. Juni 2014 wurden von einem Konto mit der Nr. … getätigt; als Absender war der Kläger ...