Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Kindergeldfestsetzung wegen neuer Tatsachen. Zehnjährige Festsetzungsverjährung bei Verletzung der Anzeigepflicht im Kindergeldrecht
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ist nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO möglich, wenn es der Kindergeldberechtigte unterlässt, die Familienkasse davon in Kenntnis zu setzen, dass das Kind nicht mehr in Deutschland lebt.
2.Unterlässt es der Steuerpflichtige trotz eindeutiger Hinweise im Merkblatt, das er bei der Antragstellung des Kindergelds erhalten hat und dessen Kenntnis er durch seine Unterschrift versichert hat, die Familienkasse davon zu unterrichten, dass das Kind die inländische Wohnung verlassen hat und eine Schule im Ausland besucht, so ist von einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung auszugehen, die zu einer Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO führt.
Normenkette
AO § 169 Abs. 2 S. 2, § 170 Abs. 1, § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 370 Abs. 1; EStG § 31 S. 3, § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3, § 70 Abs. 2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig, ob die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Tochter S zu Recht erfolgt ist.
Der Kläger bezog für seine am 20. März 1986 geborene Tochter S ab ihrer Geburt Kindergeld. Er ist seit Oktober 1991 von Frau L, der Mutter von S, geschieden. Frau L zog 1991 mit S nach Kalifornien, USA. S, die weiterhin die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, wurde dort eingeschult, besuchte zunächst die Elementary School, später die High School und ab Herbst 2004 das College. S's Mutter verstarb im Januar 2001. Danach lebte S bei einer Pflegefamilie in Kalifornien.
Am 31. März 2004 legte der Kläger der beklagten Familienkasse eine Schulbescheinigung der High School in den USA vor und teilte in einem Begleitschreiben vom 30. März 2004 mit, dass S in den USA lebe und – nach Abschluss der High School im Juni 2004 – ab September 2004 für voraussichtlich vier Jahre das College besuchen werde. Die Familienkasse hob mit Verwaltungsakt vom 9. August 2004 die Kindergeldbewilligung nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für den Zeitraum Januar 1991 bis Dezember 1995 auf und hob mit Verwaltungsakt vom 9. August 2004, Az. 815/202675 auch die Kindergeldfestsetzung nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) mit Wirkung ab Januar 1996 nach § 70 Abs. 2 EStG auf, da das Kind weder einen Wohnsitz, noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe. Die Bescheide vom 9. August 2004 wurden durch die Bescheide vom 20. Oktober 2004 geändert. Der gegen den Aufhebungsbescheid betreffend Kindergeld ab Januar 1996 eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 4. November 2004).
Mit der Klage trägt der Kläger vor, der Aufhebungsbescheid sei rechtswidrig. Er habe das Kindergeld zu Recht bezogen, denn die Tochter habe ihren Wohnsitz im Inland nicht aufgegeben. Er habe in seiner Wohnung ganzjährig ein eigenes Zimmer für S bereitgehalten, das nach ihren Bedürfnissen eingerichtet sei und über das sie jederzeit verfügen könne. S verbringe hier jedes Jahr mehrere Wochen in den Ferien und sehe diese Wohnung auch als ihre Wohnung an. Da es ihr in Deutschland sehr gefalle, wolle sie nach Abschluss ihrer Ausbildung nach Deutschland zurückkehren. Bindungen zu ihrem Ausbildungsort in den USA habe sie keine. Ihr Aufenthalt dort diene allein der Ausbildung. Es bestünden auch keinerlei Bindungen zu der Pflegefamilie, bei der sie wohne. Da die Mutter von S verstorben sei, bestehe eine starke familiäre Bindung zu ihrem Vater. Einer Aufhebung der Kindergeldfestsetzungen stünden auch verfahrensrechtliche Hindernisse entgegen. Dem Beklagten seien seit 1991 die für die Kindergeldfestsetzung maßgeblichen Verhältnisse, nämlich dass sich S Keussen in den USA aufhalte, bekannt. Seiner Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen sei der Kläger vollumfänglich nachgekommen. Der Aufenthaltsort von S sei auch seit 1991 ständig die USA, so dass keine Änderung der Verhältnisse eingetreten sei, über die Auskunft hätte gegeben werden müssen. Für den Zeitraum 1996 bis einschließlich 1999 sei auch Festsetzungsverjährung eingetreten. Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist auf 10 Jahre wegen Steuerhinterziehung komme nicht in Betracht. Auch liege keine leichtfertige Steuerverkürzung vor. Der Kläger habe gegenüber dem Beklagten keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht und diesen auch nicht über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen. Denn im Rahmen zahlreicher Auskunftsersuchen von Seiten des Beklagten und des Finanzamts über den Aufenthaltsort von S habe er stets wahrheitsgemäß und vollständig geantwortet sowie an Eides Statt versichert.
Mit Beschluss vom 4. Januar 2006 hat das Gericht das Verfahren betreffend Kindergeld 1996 bis 1999 abgetrennt. Über die Klage betreffend Kindergeld ab 2000 (Az. 9 K 5214/04) hat das Gericht mit Urteil vom 29. März 2006 entschieden.
Der Kläger beantragt,
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