rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlängerung der Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung nur für den anteiligen Steuerbetrag, der tatsächlich Gegenstand der Steuerhinterziehung ist. Voraussetzungen für die Bildung von Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstands und von Pauschalrückstellungen. Schätzung der Höhe der Rückstellungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Festsetzungsfrist von zehn Jahren bezieht sich nur auf denjenigen anteiligen Steuerbetrag, der tatsächlich Gegenstand einer Steuerhinterziehung ist. Bezieht sich die Steuerhinterziehung nur auf Sachverhalte, die einen Teil der festgesetzten Steuer betreffen, bleibt es im Übrigen bei der vierjährigen Frist, sodass insoweit Teilfestsetzungsverjährung eintritt.
2. Soweit das Entstehen einer Verbindlichkeit sicher und nur deren Höhe ungewiss ist, ist die Rückstellung nicht mit dem höchsten denkbaren Wert, sondern mit dem Wert mit der größten Eintrittswahrscheinlichkeit anzusetzen.
3. Genügt der Steuerpflichtige der ihn treffenden objektiven Beweislast (Feststellungslast) für die von ihm behauptete gewinnmindernde Bildung von Rückstellungen der Höhe nach nicht, muss sich die Schätzung im unteren Rahmen bewegen.
4. Pauschalrückstellungen kommen ausnahmsweise in Betracht, wenn es um die Bewertung einer Vielzahl gleichartiger Geschäfte geht und substanzielle Erfahrungswerte aus der Vergangenheit bestehen, dass der Steuerpflichtige mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit einer Inanspruchnahme rechnen muss. Ein Erfüllungsrückstand wegen noch nicht bezahlter Provisionen an ausländische Vertreter lässt sich nur individuell bezogen auf jeden einzelnen Vertrag bestimmen und der Höhe nach ermitteln und nicht aus Erfahrungswerten ableiten.
Normenkette
AO § 169 Abs. 2 S. 2, §§ 162, 370; EStG § 4 Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 1 S. 1; HGB § 249
Tenor
1. Die Bescheide über Körperschaftsteuer 1998, 2000 und 2001 sowie Gewerbesteuermessbetrag 1998, 2000 und 2001, jeweils vom 28. Juli 2006 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 7. September 2016 werden dahingehend geändert, dass im Jahr 1998 weitere Rückstellungen in Höhe von 2.901.711,58 DM und weitere sonstige Verbindlichkeiten in Höhe von 1.499.876 DM, im Jahr 2000 weitere sonstige Rückstellungen in Höhe von 125.173,12 DM und im Jahr 2001 weitere sonstige Rückstellungen in Höhe von 702.142,97 DM zu berücksichtigen sind.
Die Berechnung der Steuern und Messbeträge wird dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 3/4, der Beklagte zu 1/4.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Streitig sind die Rückstellungen für Provisionen und die Passivierung von Darlehenszinsen für die Jahre 1998-2001 (Streitjahre).
Die Klägerin ist eine GmbH. Ihr Stammkapital beträgt 50.000 EUR. Zum einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer ist S bestellt worden. Gegenstand des Unternehmens ist u.a. der Handel mit Industrie- und Konsumwaren.
Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn nach §§ 4 Abs. 1, 5 Einkommensteuergesetz (EStG) i.V.m. § 8 Körperschaftsteuergesetz (KStG) durch Betriebsvermögensvergleich. Das Wirtschaftsjahr entspricht dem Kalenderjahr.
Für den Streitzeitraum 1998-2001 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung statt (Beginn Außenprüfung: 24. Januar 2005). Dabei wurde festgestellt, dass Rückstellungen für noch nicht bezahlte Provisionen ausländischer Vertreter für vermittelte Umsätze gebildet wurden (1998: 2.901.711,58 DM, 1999: 2.687.812,86 DM, 2000: 3.373.853,17 DM, 2001: 3.868.290,70 DM). Bei den Provisionsempfängern sollte es sich um Mitarbeiter der belieferten … in Osteuropa handeln. Den Vermittlungsprovisionen lagen Verträge in russischer Sprache zugrunde, in denen bestimmt war, dass die Höhe der Provisionen an die Vermittler für jeden zustande gekommenen Vertrag gesondert abgestimmt werde. Weitere Unterlagen, wie sich die Rückstellungen zusammensetzen und auf welcher Grundlage sie sich berechnen, wurden dem Prüfer nicht vorgelegt. Der Prüfer erkannte die Rückstellungen nicht an und löste sie in voller Höhe auf.
Zudem wurden Darlehenszinsen in folgender Höhe als Verbindlichkeiten passiviert:
1998: 1.499.876 DM, 1999: 381.458 DM, 2000: 549.706 DM, 2001: 583.438 DM. Als Grund für die passivierten Darlehenszinsen wurde die Gewährung von Darlehen durch verschiedene im Ausland ansässige Personen, die teilweise auch als Vermittler für die Klägerin tätig gewesen seien, sowie von nahestehenden Personen der Klägerin (Ehefrau und Kinder des Gesellschafters) angegeben. Das von den ausländischen Personen zur Verfügung gestellte Fremdkapital betrug zum 31.12.2001 insgesamt 8.251.912,18 DM. In den vorgelegten Darlehensverträgen wurde kein fester, sondern ein variabler Zinssatz vereinbart. Weitere Unterlagen, insbesondere Vere...