Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Abrechnungsbescheid stellt einen vollziehbaren Verwaltungsakt dar, wenn darin Säumniszuschläge erstmalig ausgewiesen werden.
2. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO.
Normenkette
AO § 238 Abs. 1 S. 1, § 240; GG Art. 3 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
I.
Zu entscheiden ist, ob die Vollziehung eines Abrechnungsbescheides über die Entstehung von Säumniszuschlägen in voller Höhe auszusetzen ist. In der Sache streiten die Beteiligten über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in einem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge.
Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in ….
Am 18.08.2021 beantragte die Antragstellerin die Erteilung eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) im Hinblick auf die Säumniszuschläge, soweit sie seit dem 01.01.2010 entstanden seien. Sie trug zudem vor, dass sie bereits jetzt die Aussetzung der Vollziehung beantrage. Sie fügte den Beschuss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10.06.2021 VII B 54/21 (AdV) bei.
Der Antragsgegner lehnte den Erlass eines Abrechnungsbescheids mit Verfügung vom 21.09.2021 ab, da der Erlass eines Abrechnungsbescheids das Vorliegen von Streitigkeiten zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde voraussetze und solche Meinungsverschiedenheiten von der Antragstellerin nicht vorgebracht worden seien. Gegen diese Ablehnungsverfügung legte die Antragstellerin Einspruch ein und trug zur Begründung vor, die Säumniszuschläge würden als verfassungswidrig zu hoch angesehen, soweit sie die Zeiträume ab dem 01.01.2019 beträfen. Der Antragsgegner erließ daraufhin unter dem 08.10.2021 einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO bezogen auf die Säumniszuschläge ab dem 01.01.2019. Der Abrechnungsbescheid weist Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer 2016 in Höhe von 16,00 EUR, Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer 2017 in Höhe von 234,– EUR, Säumniszuschläge zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2016 in Höhe von 9,00 EUR und Säumniszuschläge zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 in Höhe von 72,– EUR aus. Wegen der Einzelheiten wird auf den Abrechnungsbescheid verwiesen.
Der Antragsgegner lehnte die Aussetzung der Vollziehung mit Verfügung vom 14.10.2021 ab. In der BFH-Entscheidung in dem Verfahren VII B 54/21 sei die Aussetzung der Vollziehung in Höhe der hälftigen Säumniszuschläge im Hinblick auf die zum damaligen Zeitpunkt vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch nicht entschiedene Rechtsfrage hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes gewährt worden. Aufgrund der nunmehr ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts komme in analoger Anwendung der Randziffer 242 der o.g. Entscheidung eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf Säumniszuschläge nicht in Betracht.
Die Antragstellerin legte gegen den Abrechnungsbescheid vom 08.10.2021 am 19.10.2021 Einspruch ein.
Die Antragstellerin hat am 26.10.2021 den vorliegenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Sie verweise auf den BFH-Beschluss vom 31.08.2021 VII B 69/21, den sie beifüge. Danach seien Säumniszuschläge auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ab dem 01.01.2019 von der Vollziehung auszusetzen. Da im dortigen Streitfall lediglich beantwortet worden sei, den Zinsanteil in den Säumniszuschlägen auszusetzen, sei auch nur ein entsprechender Aussetzungsbescheid ergangen. Im vorliegenden Fall werde die Aussetzung der Vollziehung der Säumniszuschläge in der vollen Höhe begehrt. Ist eine Norm verfassungsrechtlich zweifelhaft, sei insgesamt eine Aussetzung der Vollziehung zu gewähren; eine Beschränkung auf einen „angemessenen” Anteil sei im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nicht möglich.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Abrechnungsbescheides über Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer 2016 und 2017 sowie zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2016 und 2017 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, spätestens bis zur anderweitigen Beendigung des Einspruchsverfahrens in voller Höhe aufzuheben.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen,
hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.
Zur Begründung trägt er vor: Ausweislich der von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 28.10.2021 übermittelten Abschrift des BFH-Beschlusses vom 31.08.2021 VII B 69/21 (AdV) habe der BFH im Hinblick auf die Ausführungen des BVerfG in dessen Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, DStR 2021, 1934 ausgeführt, dass die neben der Norm des § 233a AO gegebenen Verzinsungstatbestände einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung bedürften und eine solche Wertung im Hauptsacheverfahren erfolgen müsse. Das FG Münster habe im Hinblick au...