Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschränkte Verlustverrechnung bei Termingeschäften verfassungswidrig
Leitsatz (redaktionell)
Es bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung für Termingeschäfte nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2020.
Normenkette
GG Art. 100; EStG § 20 Abs. 6, § 10d; GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 69
Tatbestand
I.
Streitig ist die Frage, ob die Einkommensteuer 2022 wegen Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des JStG 2020 von der Vollziehung auszusetzen ist.
Die Antragsteller sind Eheleute, die im Jahr 2022 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Im Rahmen ihrer am 18.10.2023 beim Antragsgegner eingereichten Einkommensteuererklärung für das Jahr 2022 erklärten die Antragsteller jeweils Einkünfte aus Stillhalterprämien und Gewinne aus Termingeschäften i.H.v. X € (Antragsteller) und X € (Antragstellerin) sowie Verluste aus Termingeschäften i.H.v. X € (Antragsteller) und X € (Antragstellerin). Ausweislich von den Antragstellern übersandter Erträgensaufstellungen ausländischer Kapitalerträge der S.A. E R resultierten die geltend gemachten Gewinne und Verluste aus CFDs (CFDe oder Differenzkontrakte). Hierbei handelt es sich um hochspekulative Derivate, bei denen sich der Kurs von einem Basiswert (Underlying) ableitet, bei dem es sich häufig um Aktien, aber auch um andere Werte (beispielsweise Indizes oder Rohstoffe) handelt. Anders als der Aktienanleger wird der CFD-Anleger ausschließlich an der Kursentwicklung des Finanzinstrumentes beteiligt. CFDs gehören zur Gruppe der finanziellen Differenzgeschäfte.
Der Antragsgegner veranlagte die Antragsteller mit Einkommensteuerbescheid 2022 vom 02.01.2024 und setzte Einkommensteuer i.H.v. X € sowie Solidaritätszuschlag i.H.v. X fest. Der Antragsgegner berücksichtigte dabei Einkünfte, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden i.H.v. X € (Antragsteller) und X € (Antragstellerin), die er wie folgt ermittelte:
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Antragsteller |
Antragstellerin |
Einkünfte aus Stillhalterprämien und Gewinne aus Termingeschäften |
X € |
X€ |
Verrechnung laufender Verluste aus Termingeschäften |
- 20.000,00 € |
- 20.000,00 € |
Verrechnung von Verlustvorträgen aus Kapitalvermögen (Termingeschäfte) |
- X € |
- X € |
Verrechnung von Verlustvorträgen aus Kapitalvermögen |
|
- X € |
Sparer Pauschbetrag |
- 801,00 € |
- 801,00 € |
Einkünfte |
X € |
X € |
Zugleich erließ der Antragsgegner einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.2022, in dessen Rahmen er den nicht verrechenbaren Verlust i.H.v. X € (Antragsteller) und X € (Antragstellerin) gesondert feststellte.
Gegen den Einkommensteuerbescheid 2022 legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung verwiesen sie auf die beim Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen 10 K 1091/23 anhängige Klage.
Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit der Begründung ab, dass die geltende Rechtslage angewandt worden sei. Das Einspruchsverfahren stellte der Antragsgegner im Hinblick auf die beim FG Baden-Württemberg anhängige Klageverfahren ruhend.
Am 14.02.2024 haben die Antragsteller einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Zur Begründung tragen die Antragsteller vor, es sei unzumutbar, die Steuernachzahlungen auf die Gewinne festzusetzen, die sie nicht erzielt hätten. Die Verlustverrechnungsbeschränkung auf 20.000,00 € bei den Termingeschäften sei verfassungsrechtlich bedenklich. Die Antragsteller verweisen erneut auf die vor dem FG Baden-Württemberg anhängige Musterklage (10 K 1091/23).
Der Antragsgegner habe die Tatsache der Verlustverrechnungsbeschränkung als strittig anerkannt und mit Schreiben vom 29.01.2024 den Einspruch bis zur Entscheidung des Musterprozesses als ruhend erklärt. Die Rechtsfrage der Verlustverrechnungsbeschränkung sei somit eindeutig als strittig zu betrachten. In diesem Fall habe der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung.
Die Antragsteller beantragen,
die Vollziehung des Bescheides für 2022 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 02.01.2024 bis zu einer Entscheidung im Einspruchsverfahren ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Hierzu trägt der Antragsgegner vor, eine Verletzung des Gleichheitssatzes sei nicht gegeben. Die der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG unterfallenden Termingeschäfte seien mit den übrigen Tatbeständen der Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht vergleichbar. Es handele sich nicht um wesentlich Gleiches. Die Art der Anlagen sei verschieden. Das Risiko der beispielhaft genannten Erträge aus Kapitalforderungen (z.B. aus Dividenden bzw. Aktienveräußerungen) sei ungemein geringer, da im Gegensatz zu Termingeschäften nur das eingesetzte Kapital verloren gehen könne. Auch liege kein Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) folgende G...