Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in eine Klagefrist; Verschulden des Prozessbevollmächtigten; Organisationsmangel bei Büroorganisation in Kanzlei
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei Fristversäumnis muss sich die Stpfl. ein Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.
2. Fristversäumnisse sind durch einen Organisationsmangel verschuldet, wenn Berufsträger ihr Büro nicht so organisiert haben, dass Fristen zuverlässig überwacht sowie eingehalten und Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristensachen sowie Fristversäumnisse möglichst ausgeschlossen werden. Ein Verschulden i.S.d. § 56 Abs. 1 FGO liegt daher bereits dann vor, wenn ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis nicht ausgeschlossen werden kann.
Normenkette
FGO §§ 56, 47
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Klagefrist zu gewähren ist.
Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft in der Form einer GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Handel mit und der Vertrieb von …baustoffen sowie das industrielle Fertigen von …teilen. Als Geschäftsführerin der Klägerin ist seit dem 10.02.2023 Frau OH im Handelsregister eingetragen. Zugunsten von Herrn DT wurde am 21.04.2021 eine Einzelprokura im Handelsregister vermerkt.
Den Einspruch der Klägerin vom 23.03.2018 gegen die Umsatzsteuerbescheide 2015 und 2016 vom 22.03.2018, in Gestalt des jeweiligen Änderungsbescheides vom 02.03.2020, wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 18.12.2023 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung ging am 21.12.2023 bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein.
Die Klägerin hat am 26.01.2024 Klage beim Finanzgericht erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Klagefrist beantragt.
Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führt sie aus: Die Einspruchsentscheidung vom 18.12.2023 sei in der Sozietät ihres Prozessbevollmächtigten am 21.12.2023 eingegangen. Am Folgetag, dem 22.12.2023, sei die Einspruchsentscheidung auf Anweisung ihres Prozessbevollmächtigten von einer Mitarbeiterin in dessen Büro, Frau K, als Mail-Anhang an sie, die Klägerin, gesandt worden. Der Prozessbevollmächtigte habe zudem ergänzend ein Informationsschreiben diktiert. Das Schreiben sei am Tag des Diktates am 22.12.2023, einem Freitag, an dem Büroschluss um 14:00 Uhr sei, nicht mehr geschrieben worden, sondern erst nach den sich anschließenden Feiertagen am 27.12.2023. In dem an sie, die Klägerin, gerichteten Schreiben vom 27.12.2023 heißt es u.a.: „Die Klagefrist läuft damit am 22.01.2024 ab […]. Da unser Mandat mit der Einspruchsentscheidung abgeschlossen ist, werden wir ohne besondere Anweisung keine Klage gegen die Bescheide erheben. Wenn Sie die Erhebung der Klage wünschen, geben Sie uns dazu bitte eine entsprechende Nachricht.” Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens verwiesen (Bl. 44 der Gerichtsakte). Sie, die Klägerin persönlich, habe jedoch bereits am Tag des Eingangs der Einspruchsentscheidung bei ihr per E-Mail mit einer Antwortmail an die E-Mail-Adresse, von der sie die Einspruchsentscheidung von ihrem Prozessbevollmächtigten übersandt erhalten habe (k…@….de), ihrem Prozessbevollmächtigten mit den Worten „Moin, bitte Klage einreichen” (Bl. 41 der Gerichtsakte) die Anweisung erteilt, Klage zu erheben. Diese E-Mail sei am Freitag, dem 22.12.2023, 14:14 Uhr, also nach Büroschluss, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eingegangen. Nach den Feiertagen sei die Nachricht im Büro ihres Prozessbevollmächtigten nicht wahrgenommen worden. Zwischen den Feiertagen sei der Arbeitsplatz der Mitarbeiterin Frau K aufgrund Urlaubs unbesetzt geblieben. Ihr Prozessbevollmächtigter, der der Klägerin, habe sich in der ersten Kalenderwoche des Jahres 2024 im Urlaub befunden. Die E-Mail mit der Anweisung zur Klageerhebung habe aus im Übrigen nicht mehr aufklärbaren Gründen den zuständigen Sachbearbeiter in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten nicht erreicht. Dieser Sachverhalt werde anwaltlich durch ihren Prozessbevollmächtigten versichert.
Aufgrund der ihrem Prozessbevollmächtigten bereits durch E-Mail vom 22.12.2023 erteilten Anweisung zur Klageerhebung habe es ihre Geschäftsführung, die der Klägerin selbst, als überflüssig angesehen, nach dem Eingang des Schreibens ihres Prozessbevollmächtigten vom 27.12.2023 diesem erneut eine Anweisung zur Klageerhebung zu erteilen.
Bei ihrem Prozessbevollmächtigten sei in der Folge der im Fristenkalender erfolgte Eintrag der Klagefrist bei Fristablauf wegen fehlender Klageanweisung als erledigt gekennzeichnet worden. Die Versäumung der Klagefrist sei aufgrund dessen entschuldigt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Versäumung der Klagefrist zu gewähren und im Rahmen eines Zwischenurteils zu entscheiden, dass die Klage zulässig ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat zum Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in d...