rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagebefugnis des Sozialleistungsträgers - kein Ausschluss der Bedürftigkeit des Kindes durch Sozialhilfeleistungen - Berücksichtigung des Prinzips des Nachrangs der Sozialhilfe
Leitsatz (redaktionell)
1) Der Sozialleistungsträger hat (auch dann) ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kindergelds und ist daher klagebefugt, wenn sich die an das Kind zu zahlende Sozialhilfe aufgrund der Anrechnung des Kindergelds als Einkommen des Kindes gemindert hat.
2) Sozialhilfeleistungen, die den gesamten Unterhaltsbedarf des behinderten Kindes, d.h. den durch die Beträge des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bestimmten Grundbedarf und den behinderungsbedingten Mehrbedarf abdecken, sind nur dann als eigene Mittel des Kindes anzusehen, wenn eine Inanspruchnahme der Eltern aufgrund der Gewährung dieser Leistungen nicht in Betracht kommt; insoweit gilt auch im Steuerrecht das Prinzip des Nachrangs der Sozialhilfe.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 Sätze 1, 1 Nr. 3, S. 2, §§ 33b, 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 67 S. 2, § 74 Abs. 1, 1 Sätze 4-5, Abs. 3; BSHG §§ 2, § 11 ff., §§ 23, 91; SGB X §§ 102 ff.; FGO § 40 Abs. 2; EStG § 32 Abs. 4
Beteiligte
Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, Der Präsident |
Tatbestand
Streitig ist, ob ein volljähriges behindertes Kind, das im eigenen Haushalt lebt und Hilfe zum Lebensunterhalt erhält, außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Der Beigeladene erhielt Kindergeld für seine am … 1951 geborene Tochter S. (S.). S. ist schwerbehindert. Der Grad der Behinderung ist seit April 1975 auf 50 v.H. festgestellt. S. ist aufgrund der Behinderung außerstande, ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen.
Der Beigeladene, der – ebenso wie seine Ehefrau – Rentenempfänger war und nicht selbst Sozialhilfeleistungen bezog, verwandte das Kindergeld für den Lebensunterhalt seiner Tochter. Diese erhielt durch die Klägerin Sozialhilfe. Dabei rechnete die Klägerin das Kindergeld als Einkommen des Kindes an.
Mit Bescheid vom 18.11.1997 hob der Beklagte gegenüber dem Beigeladenen die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 1997 auf. Zur Begründung gab er an, nach Ablauf der für 1996 geltenden Übergangsregelung sei Kindergeld nicht mehr zu gewähren. Das Kind sei aufgrund eigener Einkünfte/Bezüge imstande, sich selbst zu unterhalten.
Dagegen legte der Beigeladene am 18.12.1997 Einspruch ein. Die Klägerin machte mit Schreiben vom 23.12.1997 für den Fall eines Einspruchs durch den Kindergeldberechtigten einen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 5 EStG geltend. Für den Fall, dass der Bescheid Bestandskraft erlangt habe, beantragte sie gem. § 67 Abs. 1 Satz 2 EStG erneut die Gewährung von Kindergeld. Den Antrag auf Kindergeld lehnte der Beklagte gegenüber der Klägerin unter dem 08.01.1998 ab. Über den dagegen eingelegten Einspruch der Klägerin ist noch nicht entschieden.
Den Einspruch des Beigeladenen wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 24.09.1998, auf die verwiesen wird, als unbegründet zurück. Von einer Rückforderung des Kindergelds für die Zeit von Januar bis einschließlich November 1997 sah der Beklagte gem. § 227 Abgabenordnung (AO) ab. Die Einspruchsentscheidung wurde dem Beigeladenen bekannt gegeben. Auf Sachstandsnachfrage durch die Klägerin erhielt diese mit Schreiben der Beklagten vom 24.09.1999 eine Kopie der Einspruchsentscheidung.
Die Klägerin hat am 05.10.1999 Klage erhoben. Sie beruft sich darauf, dass das Kind außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Die Bedürftigkeit des Kindes werde durch die Gewährung von Sozialhilfe nicht ausgeschlossen. Sozialhilfe werde nur nachrangig gewährt. Außerdem sei der Bedarf des Kindes höher als die gewährte Hilfeleistung. Insbesondere seien neben einem Grundbedarf von 12.000 DM noch die Unterkunftskosten zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat Unterlagen über die gewährten Sozialleistungen vorgelegt, auf die verwiesen wird.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 18.11.1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 24.09.1998 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, der Nachrang der Sozialhilfe finde im Steuerrecht keine Anwendung. Dem Rechenwerk der Klägerin tritt er mit eigenen Berechnungen, auf die Bezug genommen wird, entgegen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin ist klagebefugt. Sie ist im Verfahren über die Festsetzung bzw. Aufhebung des Kindergelds Beteiligte, denn sie hat ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kindergelds (§ 67 Satz 2, § 74 Abs. 1 Satz 4 Einkommensteuergesetz – EStG–). Dies gilt nicht nur, wenn das Kindergeld bis zur Aufhebung durch die Familienkasse an den Sozialleistungsträger ausbezahlt wurde (vgl. dazu Bundesfinanzhof – BFH–, Urteil vom 12.01.2001 VI R 181/97, BStBl II 2001, 443), sondern auch dann, wenn sich die an das Kind zu zahlende Sozialhilfe aufgrund der Anrechnung des Kindergelds als Einkommen des Kindes gemindert hat. In beiden Fällen hat der Soziall...