Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für einen drei Besteuerungszeiträume übersteigende Prüfungsanordnung bei Klein- und Mittelbetrieben
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Voraussetzung, dass "mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist", liegt regelmäßig bereits dann vor, wenn entsprechende Feststellungen für bereits geprüfte Veranlagungszeiträume getroffen wurden.
2. Die Voraussetzung, dass "mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist", liegt regelmäßig bereits dann vor, wenn entsprechende Feststellungen für bereits geprüfte Veranlagungszeiträume getroffen wurden. Entsprechende Änderungen müssen wahrscheinlich sein; vage Vermutungen reichen nicht aus.
3. Für die Zukunftsprognose einer erheblichen Änderung der Besteuerungsgrundlagen ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung eine Erheblichkeitsgrenze von zumindest 1.000 € bei Kleinst- und Kleinbetrieben sowie von 5.000 € bei Mittelbetrieben anzusetzen.
Normenkette
UStG § 22; BpO § 4 Abs. 3; AO § 194 Abs. 1 Sätze 1-2, § 195 Sätze 1-2
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung für die Jahre 2009 bis 2015, mit der der Prüfungszeitraum der - im Zeitpunkt des Ergehens der Prüfungsanordnung - noch nicht abgeschlossenen Betriebsprüfung für die Jahre 2016 bis 2018 erweitert wird.
I.
Der Kläger betreibt seit August 2007 einen KFZ-Handel mit Reparaturwerkstatt in Stadt 1, Straße 1, unter der Firma "A". Er hat hierfür eine Halle von seinem Vater (Mietvertrag vom 11.12.2007) und 50 Stellplätze von B angemietet (Mietvertrag vom 15.09.2016).
Seine gewerblichen Einkünfte ermittelt der Kläger durch Einnahme-Überschluss-Rechnung. Er erzielte zudem Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in den Jahren 2011 (2.456 €) und 2014 (5.242 €).
In den Einkommensteuerveranlagungen wurden folgende Einkünfte aus Gewerbebetrieb erklärungsgemäß angesetzt; der Betrieb des Klägers wurde vom Finanzamt als KSt-Betrieb (Kleinstbetrieb) eingestuft.
Jahr |
Einkünfte aus Gewerbebetrieb |
Bescheid |
Einkommensteuer |
2009 |
7.105 € |
26.10.2010 |
0 € |
2010 |
8.660 € |
30.08.2011 |
0 € |
2011 |
4.301 € |
22.11.2012 |
0 € |
2012 |
5.616 € |
20.08.2014 |
0 € |
2013 |
13.094 € |
12.11.2014 |
834 € |
2014 |
5.188 € |
27.03.2015 |
0 € |
2015 |
9.899 € |
14.11.2016 |
45 € |
II.
Mit Schreiben vom 14.11.2019 ordnete das Finanzamt beim Kläger eine Außenprüfung für die Jahre 2016 bis 2018 an. Diese wurde in der Zeit von Dezember 2019 bis Oktober 2021 durch die Betriebsnahe Veranlagung durchgeführt. Der Prüfungsbericht datiert auf den 25.10.2021.
Mit erweiterter Prüfungsanordnung vom 20.02.2020 wurde der Prüfungszeitraum auf den Zeitraum 2009 bis 2015 erweitert, da mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei und der Verdacht einer Steuerstraftat bzw. Ordnungswidrigkeit bestehe.
Der Kläger legte hiergegen Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung, die gewährt wurde.
Der Einspruch blieb erfolglos; er wurde mit Einspruchsentscheidung vom 06.08.2021 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiernach lägen für den Prüfungszeitraum 2016 bis 2018 ein mit Bleistift geführtes Journal sowie für die PKW-Verkäufe quartalsweise Einnahmenaufstellungen vor. Für 2016 liege eine EÜR in Papierform, für 2018 in elektronischer Form vor. Für 2017 liege eine quartalsweise Auflistung von Einnahmen und Ausgaben ohne jedwede Bezeichnung der Einnahmen- und Ausgabenarten vor. Die Prüferin habe in der Gewinnermittlung erhebliche Aufzeichnungsmängel festgestellt und sei weiter davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unerhebliche Erlöse aus Fahrzeugverkäufen steuerlich nicht erfasst sowie Betriebsausgaben in unzutreffender Höhe geltend gemacht habe.
Der Kläger erfasse seine Einnahmen und Ausgaben aus dem Fahrzeughandel erst, wenn ein PKW verkauft werde. Es würden quartalsweise Listen über die Fahrzeugverkäufe geführt. Die Belege hierzu seien geordnet abgelegt.
Der Fahrzeughandel werde ausschließlich in bar abgewickelt. Für den Einkauf habe der Kläger teils - nach seinem Vortrag als Eigenbeleg - Kaufverträge erstellt, die nicht den tatsächlichen Käufer, sondern als Käufer den letzten Halter auswiesen. Auskunftsersuchen bei den Verkäufern hätten ergeben, dass in 7 Fällen der Kaufpreis niedriger gewesen sei.
Ausgangsrechnungen des Klägers an nicht-gewerbliche Kunden ergingen in der Regel ohne Nennung des Kundennamens und ohne Abrechnung einer Arbeitsleistung. Es sei nicht vorstellbar, dass alle Kunden in der Lage seien, die Ersatzteile selbst einzubauen.
Für einzelne Fahrzeuge seien weder Betriebseinnahmen noch Betriebsausgaben erklärt worden; teils sei ein höherer Ankaufspreis als tatsächlich gezahlt angesetzt worden. Der Verkauf etlicher "privater" Fahrzeuge des Klägers sei nicht erfasst:
In der Werkstatt seien regelmäßig Hauptuntersuchungen für PKW durch die Dekra durchgeführt worden. Für eine Vielzahl von PKW, nämlich für Fahrzeuge, die nicht im Auftrag von Kunden vorgestellt worden seien, sondern sich im Besitz des Klägers befunden hätten, habe die Dekra die Hauptunt...