Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Finanzamts bei einer Haftungsinanspruchnahme
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Haftungsinanspruchnahme nach §§ 69, 191 Abs. 1 AO kommt die Berücksichtigung eines etwaigen finanzbehördlichen Fehlverhaltens nur in den Fällen in Frage, in denen das finanz-behördliche Fehlverhalten ein solch erhebliches Ausmaß an-nimmt, dass demgegenüber das Verschulden des Haftungsschuldners nicht entscheidend ins Gewicht fällt.
Normenkette
AO § 34 Abs. 1, §§ 69, 191 Abs. 1; BGB § 254
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids.
Die Klägerin war seit März 1999 alleinige Geschäftsführerin der Firma „... Steuerberatungsgesellschaft mbH“ (im Folgenden: GmbH), die sich mittlerweile in Liquidation befindet. Im Januar 2001 stellte die Deutsche Angestellten-Krankenkasse einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH, den das Amtsgericht -Insolvenzgericht- mit Beschluss vom 8. März 2001 mangels Masse ablehnte.
Bereits zuvor hatte der Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, sie im Wege der Haftung für rückständige Lohnsteuern und steuerliche Nebenleistungen der GmbH in den Jahren 1998 bis 2000 in Anspruch zu nehmen. Die Klägerin erklärte daraufhin, die GmbH habe im Haftungszeitraum lediglich die notwendigen laufenden Kosten zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs gezahlt. Es seien keine Verbindlichkeiten gegenüber dem Beklagten getilgt worden, da eine Umfinanzierung durch die Stadtsparkasse K sowie der Ausgang eines Verfahrens wegen Verletzung des Steuergeheimnisses durch den Beklagten habe abgewartet werden sollen. Die GmbH habe aufgrund ihres eigenen Ausfalls wegen Mutterschaft und des krankheitsbedingten Fehlens von Herrn B im Jahr 1998 erhebliche Arbeitsrückstände aufgewiesen, wodurch sie in Liquiditätsprobleme gekommen sei. Diese Probleme habe die GmbH durch die Einräumung eines Kontokorrentkredits der X-Bank über 200.000,00 DM am 29. August 1999 lösen können. Nach einem Telefonat, das Herr K, ein Mitarbeiter des Beklagten, am 31. August 1999 geführt habe, sei dieser Kredit wieder storniert worden. In diesem Telefonat habe Herr K gegen das Steuergeheimnis verstoßen, indem er der X-Bank mitgeteilt habe, dass er gegen die GmbH bereits in der Vergangenheit Pfändungen veranlasst habe. Die Stadtsparkasse K habe sich nun bereit erklärt, unter bestimmten Voraussetzungen die Gesamtfinanzierung zu übernehmen. Die Stadtsparkasse habe allerdings keine Zusage getroffen, obwohl sie immer wieder versichert habe, dass eine Entscheidung wahrscheinlich positiv für die GmbH ausgehen werde. Sie selbst habe seit Frühjahr 1999 kein Gehalt mehr bezogen. Die der GmbH zur Verfügung stehenden Mittel habe sie ausschließlich zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs (Datevgebühren, Leasing EDV, etc.) verwendet, da sie davon ausgehen habe können, dass eine Umfinanzierung durch die Stadtsparkasse K zum Erfolg führe. Auch habe sie angenommen, dass die GmbH gegenüber dem Beklagten wegen des Vergehens von Herrn K aufrechnen könne.
Mit Bescheid vom 27. März 2001 nahm der Beklagte die Klägerin als Haftungsschuldnerin für rückständige Steuerzahlungen der GmbH in Anspruch. Zur Begründung führte er aus, dass die GmbH für rückständige und ab März 1999 fällig gewordene Steuern und steuerliche Nebenleistungen (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer sowie Verspätungs- und Säumniszuschläge für April 1998 und Dezember 1998 bis Oktober 2000) in Höhe von insgesamt 25.188,85 DM hafte. Die Steuerrückstände beruhten auf den von der GmbH eingereichten Lohnsteueranmeldungen sowie auf Lohnsteuerfestsetzungen. Die Inanspruchnahme der Klägerin im Wege der Haftung erfolge auf der Grundlage des § 191 i.V.m. §§ 34, 69 Abgabenordnung -AO-. Die Klägerin sei seit 1995 alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin und damit nach § 34 Abs. 1 AO gesetzliche Vertreterin der GmbH gewesen. Nach dieser Vorschrift habe sie die Pflichten der GmbH erfüllen und insbesondere dafür sorgen müssen, dass die Steuern aus den von ihr verwalteten Mitteln entrichtet würden. Die Klägerin habe während ihrer Tätigkeit für die GmbH u.a. die Löhne für die im Haftungsbescheid genannten Lohnsteueranmeldungszeiträume ausbezahlt. Die danach angemeldeten bzw. wegen Nichtabgabe festgesetzten und von den Arbeitslöhnen der Arbeitnehmer der GmbH einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge seien bisher nicht an das Finanzamt abgeführt worden. Für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuern hafte die GmbH nach § 42 d Einkommensteuergesetz -EStG-. Die Klägerin habe die ihr obliegende Verpflichtung zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich verletzt. Die Haftung, die sich nicht auf die Kirchensteuerabzugsbeträge erstrecke, erfolge im Übrigen innerhalb der zu beachtenden Ermessensgrenzen. Da die Zahlung der Rückstände bei der Steuerschuldnerin nicht habe erreicht werden können, sei es ...