Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis des Zugangs eines Steuerbescheids
Leitsatz (amtlich)
Ist der Zugang eines Steuerbescheides streitig, können bestimmte Verhaltensweisen des Steuerpflichtigen im Wege einer freien Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO dahingehend gewürdigt werden, dass von einem Zugang ausgegangen wird.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2; FGO § 96 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten des gerichtlichen Verfahrens, das sich im zweiten Rechtsgang befindet, ist streitig, ob Steuerbescheide wirksam bekannt gegeben worden sind.
Der Kläger ist von Beruf Dachdeckermeister und erzielt hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Nachdem er keine Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen für das Streitjahr eingereicht hatte, schätzte der Beklagte die maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 Abgabenordnung -AO-. Die entsprechenden Einkommensteuer-, Gewerbesteuermess- und Umsatzsteuerbescheide, die nach § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergingen und in denen gemäß § 152 AO jeweils Verspätungszuschläge festgesetzt waren, wurden vom Beklagten am 18. Oktober 2000 zur Post gegeben.
In der Folgezeit wies der Beklagte den Kläger mehrfach auf die rückständigen Steuern hin. Am 17. Mai 2001 wurde dem Kläger im Rahmen eines Pfändungsversuchs eine Rückstandsaufstellung des Beklagten übergeben. Im Zuge einer Pfändung von Ansprüchen aus einer Lebensversicherung bei der „A Lebensversicherung AG“ übermittelte der Beklagte dem Kläger am 14. September 2001 eine Durchschrift der Pfändungsverfügung mit den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Steuerrückständen. Mit Schreiben vom 4. März 2002 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er beabsichtige, bei der zuständigen Behörde ein Gewerbeuntersagungsverfahren anzuregen. Dem Schreiben war ebenfalls eine Aufstellung der Steuerrückstände des Klägers beigefügt. Mit Bescheiden vom 28. Oktober 2004 hob der Beklagte gegenüber dem Kläger den in den Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheiden vom 18. Oktober 2000 enthaltenen Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 3 AO auf.
Auf Grund eines Telefonats mit dem Bevollmächtigten des Klägers übersandte der Beklagte diesem eine Kopie des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr, gegen den der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 4. März 2005 Einspruch einlegte. In der Folgezeit erhob dieser ebenfalls gegen die ihm in Kopie übermittelten Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für das Jahr 1998 Einspruch. Zur Begründung trug er vor, dass der Kläger die Steuerbescheide nicht erhalten habe.
Durch Bescheid vom 10. Mai 2005 änderte der Beklagte nach § 164 Abs. 2 AO die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr.
Mit Einspruchsentscheidungen vom 20. Mai 2005 verwarf der Beklagte die Einsprüche als unzulässig. Zur Begründung führte er aus, dass der Kläger nach der Bekanntgabe der Steuerbescheide nicht fristgemäß Einspruch erhoben habe. Der Zugang der Steuerbescheide, die nachweislich zur Post aufgegeben worden seien, ergebe sich aus verschiedenen Indizien. So habe der Kläger seit dem 1. Mai 1999 seinen Hauptwohnsitz in der F-Straße ... in N. Trotz hohem Postversand an den Kläger (Erinnerungen, Mahnungen, Rückstandsaufstellungen, Ablehnung von Anträgen auf Vollstreckungsaufschub etc.) könne den Steuerakten kein Postrücklauf entnommen werden. In mehreren Telefonaten habe der Kläger angekündigt, seinem Steuerberater alle Unterlagen vorzulegen, damit dieser Voranmeldungen und Erklärungen erstellen könne, die die geschätzten Besteuerungsgrundlagen ersetzen und die Rückstände mindern sollten. Auch im Rahmen der fruchtlosen Pfändung am 17. Mai 2001, der zahlreichen Forderungspfändungen sowie der Ankündigung, ein Gewerbeuntersagungsverfahren anzuregen, seien dem Kläger Aufstellungen seiner Steuerrückstände übergeben worden. Schließlich habe er gegenüber dem Kläger mit Bescheiden vom 28. Oktober 2004 den Vorbehalt der Nachprüfung der Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 1998 vom 18. Oktober 2000 aufgehoben. Alle genannten - teilweise Existenz bedrohenden - Maßnahmen seien erfolgt, ohne dass der Zugang der Steuerbescheide bestritten worden sei. Ein Steuerpflichtiger in dieser Situation hätte bei einer tatsächlich fehlenden Bekanntgabe diese gerügt, auch wenn er im Augenblick nicht über vollstreckbares Vermögen verfügt hätte. Selbst auf die vier Jahre später erfolgte Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung habe der Kläger nicht reagiert. Das widerspruchslose Verhalten des Klägers in den vergangenen Jahren sei nur verständlich, wenn ihm bewusst gewesen sei, dass entsprechende Steuerbescheide ordnungsgemäß bekannt gegeben worden seien.
Der Kläger hat hiergegen Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er habe die angefochtenen Steuerbescheide nicht erhalten. Erst nachdem seinen Bevollmächtigten Kopien der Steuerbescheide übersandt worden seien, habe er hiergegen Einspruch einlegen können. Der Beklagte behaupte den Zugang der Steuerbescheide, ohne d...