Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Ermittlung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs und Gegenüberstellung von Gesamtbedarf und Selbstunterhalt eines in einer eigenen Wohnung lebenden volljährigen Kindes
Leitsatz (redaktionell)
In der für 2000 gültigen Fassung des EStG besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist. Ein Kind ist dann nicht in der Lage, sich selbst zu unterhalten, wenn die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht und das Kind über keine anderen bzw. nicht ausreichende andere Einkünfte und Bezüge verfügt.
Für die Feststellung, ob die dem behinderten Kind zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel den gesamten notwendigen Lebensbedarf sichern, ist ein auf den Kalendermonat bezogener Vergleich anzustellen.
Zu den dem Kind zur Verfügung stehenden Mitteln rechnen auch tatsächlich erfolgte Zahlung des Sozialleistungsträgers, wobei es ohne Belang ist, ob die Zahlungen unmittelbar an das Kind geleistet werden oder mittelbar dem Kind zugute kommen. Hilfeleistungen der Eltern sind weder mittelerhöhend noch bedarfsmindernd zu berücksichtigen.
Der gesamte notwendige Lebensbedarf eines behinderten Kindes setzt sich aus dem allgemeinen Lebensbedarf und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Die auf die Behinderung zurückzuführenden Aufwendungen sind nur zu erfassen, soweit sie sich in den - auch sonst bei außergewöhnlichen Belastungen i. S. d. § 33 EStG maßgebenden - Grenzen der Angemessenheit halten.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1-2
Tatbestand
Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Streitig ist, ob dem Kläger für das Jahr 2000 Kindergeld für seine Tochter Dagmar zusteht.
Für die in 1975 geborene schwerbehinderte, auf einen Rollstuhl angewiesene Tochter Dagmar des Klägers war ursprünglich Kindergeld bis zum 30. September 2012 unter der Voraussetzung, dass sie aufgrund ihrer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und ihr Lebensunterhalt auch nicht durch Einkünfte und Bezüge von anderer Seite gedeckt wird, festgesetzt worden. Gem. dem bis 2012 gültigen Schwerbehindertenausweis liegt bei Dagmar ein Grad der Behinderung von 100 % vor, und es sind die Merkzeichen „B“, „G“, „aG“ und „H“ eingetragen. Im streitigen Zeitraum unterfiel sie der Pflegestufe II. (Wegen der Einzelheiten zur Krankheit des Kindes wird auf das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz vom 09. Oktober 1996, Bl. 63 bis 70 der Verwaltungsgerichts-Prozessakten, Az.: 6 K 1623/00.Nw Bezug genommen.)
Dagmar bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die im Streitjahr bis einschließlich Juni 3067,28 DM und ab Juli 3085,70 DM betrug. Darin waren Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungspflichtbeiträge von monatlich 233,11 DM (bis Juni 2000) bzw. 243,77 DM (ab Juli 2000) enthalten (Bl. 100 der Verwaltungsgerichts-Prozessakten 6 K 1623/00. Nw).
Sie wohnt seit August 1999 in Kaiserslautern in einer behindertengerecht ausgestatteten Eigentumswohnung mit Tiefgaragenstellplatz des Klägers. Sie wird dabei von einem mobilen Pflegedienst, dem MachMitMittwoch Club e.V. (im Folgenden: MMMC) betreut, der sowohl hauswirtschaftliche als auch pflegerische Leistungen erbringt. Gem. einem Pflegeplan der Sozialstation vom 20. April 1999 (Bl. 75 ff der Verwaltungsgerichts-Prozessakten 6 K 1623/00.Nw) wird der Pflegebedarf wie folgt auf insgesamt 5.400,-- DM monatlich beziffert:
Zweimal täglich waschen, einmal wöchentlich duschen, einmal wöchentlich baden, dreimal täglich Zahnpflege, ein- bis zweimal täglich kämmen, mindestens dreimal täglich mundgerechtes Zubereiten einer Mahlzeit, mindestens dreimal täglich füttern, bei Bedarf an- bzw. auskleiden, mindestens dreimal wöchentlich zur Krankengymnastik/Massage/Ergotherapie, zweimal wöchentlich einkaufen, einmal täglich kochen, einmal wöchentlich Reinigung der Wohnung, einmal täglich spülen, einmal wöchentlich Kleiderwäsche, Besuchsdienste in nicht genau genanntem Umfang, durchschnittlich dreimal wöchentlich Bring- bzw. Holdienst zu Ärzten/Verwandten/Veranstaltungen usw. und Spaziergänge bzw. Behördengänge u. ä. je nach Bedarf.
Von den hierfür im Streitjahr entstandenen Kosten hat die Pflegekasse der AOK, bei der Dagmar krankenversichert ist, aufgrund der Einstufung in die Pflegestufe II monatlich 1.800,-- DM übernommen. Die darüber hinausgehenden Aufwendungen für die Pflegedienste des MMMC trug - bis auf von Dagmar zu erbringende Eigenanteile - die Stadt Kaiserslautern (Amt für Soziales und Wohngeld).
Nachdem der Kläger der Familienkasse in 1999 den Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente durch Dagmar mitgeteilt hatte, wurde die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung ab dem 01. Juli 1999 mit der Begründung aufgehoben, die der Tochter monatlich zur Verfügung stehend...