Ministerium der Finanzen Sachsen-Anhalt, Erlass v. 25.01.2024, 42-S 1980-102
Die nachfolgenden Revisionsverfahren sind zur Frage der Rechtmäßigkeit der Besteuerung von fiktiven Veräußerungsgewinnen nach § 56 Abs. 2 und 3 InvStG anhängig. Einsprüche, die sich auf das jeweilige anhängige Revisionsverfahren stützen, ruhen insoweit (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
• BFH; Az. VIII R 15/22
Das Finanzgericht Köln (Az. 15 K 2594/20) hat mit Urteil vom 8. September 2022 entschieden, dass
- im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung der Anteile nach Maßgabe des § 56 Abs. 3 InvStG eine modifizierte Berechnung mit fiktiv erhöhten Anschaffungskosten einerseits und der Versteuerung des bis dahin nicht versteuerten "fiktiven Veräußerungsgewinns" andererseits erfolgt, wobei
- für den der alten Rechtslage unterfallenden (fiktiven) Veräußerungsvorgang keine im neuen Recht vorgesehene Teilfreistellung gem. § 20 InvStG gilt, so dass jener Gewinn oder Verlust (bei einer Anschaffung nach dem 31. Dezember 2008) in voller Höhe bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen anzusetzen ist, während
- bei der Besteuerung des nach "neuem" Recht ermittelten Gewinns oder Verlustes dagegen pauschalierte Prozentsätze für eine Teilfreistellung (bei Veräußerungsgewinnen) bzw. ein Teilabzugsverbot (bei Veräußerungsverlusten) gelten und dabei erzielte Veräußerungsgewinne (erst) zu versteuern sind, wenn der Anleger seine Anteile tatsächlich verkauft.
Das Finanzgericht hat zudem von einer Vorlage an das BVerfG abgesehen, da es nicht von einer Verfassungswidrigkeit der Besteuerung fiktiver Veräußerungsgewinne nach § 56 Abs. 2 und 3 InvStG überzeugt war.
Im Streitfall hatte sich der Kläger in den Jahren 2009 bis 2017 an einem Aktienfonds im Sinne des § 2 Abs. 6 InvStG beteiligt. Ende 2018 verkaufte er die Anteilscheine und erzielt hieraus einen wirtschaftlichen Veräußerungsgewinn von rund 600 Euro. Der nach§ 8 Abs. 5 InvStG 2004 ermittelte fiktive Veräußerungsgewinn i. S. d. § 56 Abs. 2 Satz 1 InvStG beläuft sich unstreitig auf rund 6.100 Euro.
Für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum Verkauf ermittelt der Kläger einen Veräußerungsverlust von rund 5.500 Euro vor Teilfreistellung (30 %) bzw. von 3.850 Euro nach Teilfreistellung.
Der sich hiernach im Saldo ergebende steuerliche Veräußerungsgewinn beträgt rund 2.250 Euro (= 6.100 - 3.850). Die Differenz zwischen dem wirtschaftlichen und dem steuerlichen Veräußerungsgewinn ergibt sich allein aus der Kürzung des Veräußerungsverlustes ab 2018 in Höhe von 1.650 Euro (= 5.500 - 3.850).
Die Anwendung der Teilfreistellung auf Veräußerungsverluste entspricht der Verwaltungsauffassung (vgl. BMF-Schreiben vom 21. Mai 2019, BStBl 2019 I S. 527, Rz. 20.2).
Nach Auffassung des Klägers ist im vollständigen Ansatz des fiktiven Veräußerungsgewinns zum 31. Dezember 2017 verbunden mit der nur anteiligen Berücksichtigung der fiktiven Veräußerungsverluste seit dem 1. Januar 2018 durch die seither geltende Teilfreistellung ein Verstoß gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nach Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG zu sehen.
• BFH, Az. VIII R 22/23
Das Niedersächsische Finanzgericht hat mit Urteil vom 14. Juni 2023 (7 K 254/20) die Besteuerung aus der Veräußerung von Investmentanteilen nach § 56 Abs. 2 und 3 InvStG bestätigt und hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung fiktiver Veräußerungsgewinne geäußert.
Der Kläger erwarb in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt 386 Fondsanteile für 39.303,64 Euro, die er am 20. November 2018 für insgesamt 39.819,76 Euro veräußerte. Zum31. Dezember 2017 betrug der Rücknahmepreis/Marktpreis für diese Fondsanteile 47.258,40 Euro und lag damit 7.954,76 Euro über den Anschaffungskosten.
Die Bemessungsgrundlage für die kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge wurde von der Depotbank ausweislich der eingereichten Steuerbescheinigung wie folgt ermittelt:
Der Kläger sieht sich durch die Anwendung der Teilfreistellung auf den im Jahr 2018 angefallenen Buchverlust in seinen Rechten verletzt. Es sei streitig, ob dieser Verlust (Absinken des Kurswertes nach dem31. Dezember 2017 bis zum Zeitpunkt der Veräußerung) vorrangig nach § 20 Abs. 1 InvStG in Verbindung mit § 2 Abs. 14 InvStG zu 30 % von der Steuer freizustellen sei oder ob zuerst eine vollständige Verrechnung der fiktiven Gewinne nach§ 56 Abs. 2 InvStG mit den Verlusten im Jahr 2018 zu erfolgen habe. Zudem sei eine nicht gerechtfertigte Übermaßbesteuerung erfolgt, die gegen den...