Leitsatz
Sieht die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung generell eine qualifizierte Mehrheit vor, muss der Organträger über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes zu erfüllen.
Normenkette
§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG, § 17 Abs. 2, § 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 und 4 GmbHG
Sachverhalt
Die Klägerin zu 1., eine GmbH, war in den Streitjahren zu 79,8 % an der Klägerin zu 2., ebenfalls eine GmbH, beteiligt. Die übrigen Anteile hielten zu 10,2 % C und zu 10 % D. Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin zu 2. enthielt unter anderem die Regelung, dass die Beschlüsse der Gesellschaft einer Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschaftsversammlung anwesenden Stimmen bedürfen, soweit nicht das Gesetz oder die Satzung eine höhere Mehrheit vorschreibt.
Am 19.12.2013 schlossen die Klägerin zu 1. als Organträgerin und die Klägerin zu 2. als Organgesellschaft einen "Gewinnabführungsvertrag" (EAV), dem sämtliche Gesellschafter der Klägerin zu 2. mit notarieller Urkunde vom gleichen Tag zustimmten.
Das FA erließ für die Streitjahre zunächst Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung des der Organträgerin zuzurechnenden Einkommens und sonstiger damit im Zusammenhang stehender Besteuerungsgrundlagen nach § 14 Abs. 5 KStG. Im Anschluss an eine Außenprüfung hob das FA diese Bescheide auf und behandelte die abgeführten Gewinne als verdeckte Gewinnausschüttungen, da die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft mangels finanzieller Eingliederung nicht erfüllt seien. Die Einsprüche beider Klägerinnen blieben erfolglos wie die nachfolgend erhobenen Klagen (FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2020, 6 K 3291/19 F, Haufe-Index 14295283).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der beiden Klägerinnen zurück. Den Praxis-Hinweisen kann die Begründung hierfür entnommen werden.
Hinweis
1. Eine ertragsteuerrechtliche Organschaft setzt zwingend die sog. finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft voraus. Der Organträger muss also an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zustehen.
2. Vom BFH war in der Besprechungsentscheidung zu klären, ob es dabei auf die einfache oder die qualifizierte Mehrheit ankommt. Im "Normalfall" genügt eine einfache Mehrheit, da auch die gesellschaftsrechtlichen Grundnormen (§ 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG) eine einfache Mehrheit der Stimmrechte ausreichen lassen. Allerdings stellte sich im Streitfall die Frage, ob anderes gilt, wenn die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung eine (höhere) qualifizierte Mehrheit vorsieht. Der BFH entschied, dass für die finanzielle Eingliederung das qualifizierte Mehrheitserfordernis zu verlangen ist; jedenfalls gilt dies in denjenigen Fällen, in denen die qualifizierte Mehrheit nach der Satzung generell erforderlich ist. Denn nur dann kann der Organträger durch die Stimmrechte seinen auf die Organgesellschaft bezogenen Geschäftsleitungswillen durchsetzen.
3. Im Streitfall war es so, dass nach der Satzung für sämtliche Beschlüsse eine 91 %-Mehrheit gefordert wurde. Die vermeintliche Organträgerin verfügte aber nur über die (einfache) Mehrheit von 79,8 %. Dies genügte nicht und die beabsichtigte Organschaft war steuerlich nicht anzukennen.
4. Nicht entschieden hat der BFH die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die Satzung nur für bestimmte Vorgänge ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis vorsieht, im Übrigen aber die einfache Stimmrechtsmehrheit ausreichen lässt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.8.2023 – I R 50/20