Rz. 551
Da Gebäude mit fortschreitendem Alter einer Wertminderung unterliegen, sieht § 190 Abs. 3 S. 1 BewG ebenso wie § 38 ImmoWertV die Multiplikation der durchschnittlichen Herstellungskosten mit einem Alterswertminderungsfaktor vor. Der Alterswertminderungsfaktor entspricht dem Verhältnis der Restnutzungsdauer des Gebäudes am Bewertungsstichtag zur Gesamtnutzungsdauer nach Anlage 22 zum BewG. Je nach Gebäude- und Nutzungsart sind darin Gesamtnutzungsdauern zwischen 30 und 80 Jahren ausgewiesen. Die Restnutzungsdauer wird grundsätzlich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen der Gesamtnutzungsdauer und dem Alter des Gebäudes am Bewertungsstichtag ermittelt. Das Alter des Gebäudes ist durch Abzug des Jahres der Bezugsfertigkeit des Gebäudes vom Jahr des Bewertungsstichtags zu bestimmen. Die für Bewertungsstichtage vor dem 1.1.2023 geltende Fassung des § 190 BewG sah anstelle der Multiplikation der durchschnittlichen Herstellungskosten mit einem Alterswertminderungsfaktor den Abzug einer nach denselben Grundsätzen ermittelten Alterswertminderung vom Gebäuderegelherstellungswert vor.
Sind nach Bezugsfertigkeit des Gebäudes Veränderungen eingetreten, die die Restnutzungsdauer des Gebäudes wesentlich verlängert haben, ist von der entsprechend verlängerten Restnutzungsdauer auszugehen. Nach der noch auf die bis zum 31.12.2022 geltende Fassung des § 190 BewG bezogenen Regelung in R B 190.7 Abs. 3 ErbStR 2019 ist ein fiktiv späteres Baujahr zur Bestimmung der Alterswertminderung nur anzunehmen, wenn in den letzten 10 Jahren durchgreifende Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen wurden, die nach dem Punktesystem der Anlage 1 eine überwiegende oder umfassende Modernisierung ergeben.
Rz. 552
Nach § 190 Abs. 6 S. 5 BewG beträgt die Restnutzungsdauer eines noch nutzbaren Gebäudes mindestens 30 % der Gesamtnutzungsdauer. Die für Bewertungsstichtage vor dem 1.1.2023 geltende Fassung des § 190 BewG sah damit sachlich übereinstimmend den Ansatz eines Mindestwerts von 30 % (für Bewertungsstichtage vor dem 1.1.2016 sogar von 40 %) des Gebäuderegelherstellungswerts vor. Der Mindestwert – bzw. nunmehr die Mindestrestnutzungsdauer – wird damit gerechtfertigt, dass auch ein älteres Gebäude noch einen Wert besitzt. Dabei wird unterstellt, dass das Gebäude laufend instand gehalten wurde. Ist dies nicht geschehen, kann sich aus dem Mindestwert bzw. der Mindestrestnutzungsdauer ein zu hoher Steuerwert ergeben.
Bei einer bestehenden Abbruchverpflichtung für das Gebäude ist die Restnutzungsdauer allerdings auf den Unterschiedsbetrag zwischen der tatsächlichen Gesamtnutzungsdauer und dem Alter des Gebäudes am Bewertungsstichtag begrenzt.
Bei Bauschäden, unterlassenen Instandhaltungsmaßnahmen und Reparaturstaus ist ein Verkehrswertnachweis nach § 198 BewG in Betracht zu ziehen. Zwar wird auch nach § 4 Abs. 3 S. 2 ImmoWertV die Restnutzungsdauer in der Regel auf der Grundlage des Unterschiedsbetrags zwischen der Gesamtnutzungsdauer und dem Alter der baulichen Anlage am maßgeblichen Stichtag ermittelt. Individuelle Gegebenheiten des Wertermittlungsobjekts wie unterlassene Instandhaltungen können die Gesamtnutzungsdauer nach § 4 Abs. 3 S. 3 ImmoWertV aber auch verkürzen. Auch eine Mindestrestnutzungsdauer sieht die ImmoWertV nicht vor.
Insbesondere bei einem Reparaturstau oder der Zugrundelegung der Mindestrestnutzungsdauer besteht für den Stpfl. und seinen Berater daher Anlass zu der Prüfung, ob nach § 198 BewG ein niedrigerer Verkehrswert nachgewiesen werden kann.