Prof. Dr. Michael Fischer
Rz. 100
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BGB gilt als Erwerb von Todes wegen der "Erwerb durch Erbanfall", wobei ausdrücklich auf § 1922 BGB verwiesen wird. Erbanfall ist der Übergang der Erbschaft auf den oder die Erben. Nach § 1922 BGB i. V. m. § 1942 BGB geht das vererbbare Vermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge als Ganzes auf den oder die Erben über, d. h. der Erbe oder die Erben (in Erbengemeinschaft) treten umfassend in die gesamte Rechtsposition des Erblassers ein, und zwar unbeschadet des Rechts, die Erbschaft auszuschlagen (Rz. 1 ff.). In den Fällen der Nachfolge in Personengesellschaftsanteile und der Hoferbfolge kann ausnahmsweise an die Stelle der Gesamtrechtsnachfolge eine Sonderrechtsnachfolge treten (Rz. 165, 263). Wer als Erbe und in welchem Umfang durch Erbanfall erwirbt, bestimmt sich nach der zivilrechtlichen Lage. Deshalb kann es für die Frage, ob ein Vermögensgegenstand vom steuerbaren Erwerbsvorgang erfasst wird, nur auf das zivilrechtliche Eigentum ankommen. Ein vom Erblasser bereits an einen Dritten (oder Miterben) verkauftes, aber im Grundbuch noch nicht auf den Käufer umgeschriebenes Grundstück muss danach noch als Nachlassbestandteil in die erbschaftsteuerrechtliche Wertermittlung einbezogen werden, und zwar auch dann, wenn das sog. wirtschaftliche Eigentum (Besitz und Gefahr sowie Nutzen und Lasten) bereits auf den Käufer übergegangen sind. Denn die Grundbucheintragung ist für den zivilrechtlichen Eigentumsübergang entscheidend. Das Problem verschiebt sich auf die Bewertung der mit dem Nachlass übergehenden Rechtspositionen. Im Regelfall wird beim rechtlichen Eigentümer, dem der Steuersachwert des Vermögensgegenstands zuzurechnen ist, dieser Wertansatz durch seine Verpflichtungen gegenüber dem wirtschaftlichen Eigentümer kompensiert. Lediglich dann, wenn der Käufer der Alleinerbe ist, könnte man vertreten, dass der Vermögensgegenstand erbschaftsteuerrechtlich nicht vom steuerbaren Erwerbsvorgang erfasst wird, weil mit der Gesamtrechtsnachfolge zugleich die Erfüllung des Kaufvertrags eintritt. Dogmatisch stimmiger erscheint es, den Alleinerben infolge des Kaufvertrags als nicht bereichert anzusehen, weil die durch Konfusion erloschene Übereignungsverpflichtung nach § 433 Abs. 1 BGB erbschaftsteuerrechtlich als nicht erloschen gilt. Wenn im Falle einer Treuhandabrede der Erblasser als Treuhänder verpflichtet ist, das Treugut an den Treugeber auf dessen Verlangen herauszugeben, dann steht beim Tod des Treuhänders (zivilrechtlicher Eigentümer) dem Ansatz des nachlasszugehörigen Treuguts mit seinem Steuersachwert die Herausgabepflicht als Nachlassverbindlichkeit gegenüber, die ebenfalls mit dem Steuersachwert anzusetzen ist. Im Ergebnis ist damit der Erbe des Treuhänders durch das Treugut nicht bereichert. Wird der Treuhänder vom Treugeber beerbt, gilt für die Frage der Bereicherung der erloschene Herausgabeanspruch als nicht erloschen.
Rz. 101
§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BGB nimmt ausdrücklich auf § 1922 BGB Bezug. Das sind diejenigen Personen, auf die im Zeitpunkt des Todes des Erblassers die Erbschaft durch Erbanfall gem. § 1942 BGB übergeht. Allerdings gibt es neben diesem Grundfall weitere Fälle, die erbschaftsteuerrechtlich unter den "Erwerb durch Erbanfall" subsumiert werden. Dazu gehört der Erwerb des Nacherben gem. § 2139 BGB bzw. der Erwerb eines Dritten, der das Anwartschaftsrecht des Nacherben rechtsgeschäftlich erworben hat und beim Nacherbfall gem. § 2139 BGB erwirbt. Insoweit regelt § 6 ErbStG nur ergänzende Bestimmungen. Nach der Rspr. wird als Erwerb durch Erbanfall auch der Erwerb aufgrund eines über die Erbfolge geschlossenen Erbvergleichs besteuert (Rz. 55) sowie der Erwerb, den ein unwirksam eingesetzter Erbe mit Rücksicht auf die unwirksame Verfügung von Todes wegen erhält (Rz. 20 ff.). Ein Erwerb durch Erbanfall kommt des Weiteren beim Erwerb aufgrund ausländischen Erbrechts in Betracht (Rz. 62 ff.). Erfasst werden schließlich die Fälle der Sonderrechtsnachfolge, wenn eine personengesellschaftsrechtliche Beteiligung an einen oder mehrere Miterben vererbt wird (Rz. 165 ff.) oder der Erwerb eines Anteils an einem Hof, die nach dem Höferecht von der Hoferbfolge ausgeschlossen sind. Nach der Rspr. des BFH gehört auch ein dem Erblasser zustehender, aber von ihm nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch zum steuerbaren Nachlass. Auf eine Geltendmachung des Selbigen analog § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG soll es bei § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG nicht ankommen (vgl. Rz. 417). Ebenfalls zum Nachlass gehören kann ein Vermögen, das der Erblasser zu Lebzeiten auf einen ausländischen Trust übertragen hat, sofern dieser nicht die Anforderungen einer Vermögensmasse ausländischen Rechts i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 8 S. 2 ErbStG zu Lebzeiten des Errichters entsprochen hat und bei Erbfall nicht i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 ErbStG entspricht.