Prof. Dr. Michael Fischer
Rz. 20
Bei den Erwerben von Todes wegen entsteht die Steuer nach der Grundregel des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit dem Tode des Erblassers. Der Tod des Erblassers ist zeitlich maßgebend für die beiden wichtigsten Grundtatbestände des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG (Erwerb durch Erbanfall, Erwerb durch Vermächtnis und Vorvermächtnis) sowie für Erwerbsvorgänge nach § 3 Abs. 1 Nrn. 2–4 ErbStG (Schenkung auf den Todesfall, gesetzliche Vermächtnisse und überlebensbedingter Erwerb aufgrund Vertrags zugunsten Dritter).
Rz. 21
Im Einklang mit dem erbrechtlichen Prinzip des Von-Selbst-Erwerbs kommt es weder auf eine Kenntnis noch eine Annahme der Erbschaft an. Für den Fall, dass der Erbe die Erbschaft ausschlägt, entfällt allerdings auch rückwirkend die Erbschaftsteuerpflicht. Ebenso wenig hängt es im Falle einer gewillkürten Erbfolge davon ab, wann ein entsprechendes Testament aufgefunden wird. Unerheblich ist es schließlich, ob sich die Erbfolge und die Regelung des Nachlasses nach ausländischem Recht richten. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Erbe auch tatsächlich die Verfügungsbefugnis über die Nachlassgegenstände erlangt hat. Deshalb hat z. B. die Anordnung einer Testamentsvollstreckung oder die Verfügungsbeschränkungen, die sich bei Miterben aus den Regeln über die Erbengemeinschaft ergeben, keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Besteuerung.
Rz. 22
Demgegenüber ist der Todeszeitpunkt für die Steuerentstehung nicht maßgebend, soweit es um die Erfüllung unwirksamer Verfügungen von Todes wegen geht. Die Rspr. des BFH, die sich traditionell auf § 41 AO stützt, ist grundsätzlich unabhängig von dem Grund, auf dem die Unwirksamkeit beruht. Neben der Anordnung des Erblassers ist es erforderlich, dass die von den an dem Erbfall Beteiligten getroffene Regelung aufgrund der Anforderung des Erblassers ausgeführt worden ist. Daraus leitet der BFH ab, dass die Steuer für den Erwerb des Begünstigten abweichend von § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht mit dem Tode des Erblassers, sondern erst mit der Erfüllung des unwirksam geäußerten Erblasserwillens entsteht. Für die Wertermittlung soll es demgegenüber maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erbfalles ankommen.
Rz. 23
Noch nicht höchstrichterlich entschieden ist die Frage, welcher Steuerentstehungszeitpunkt maßgebend ist, wenn ein Gestaltungsrecht ausgeübt wird, welches zivilrechtlich zurückwirkt.
Rz. 24
Praxisrelevant ist vor allem die Ausschlagung der Erbschaft. Eine steuerliche Rückwirkung müsste gesetzlich ausdrücklich angeordnet werden. In einem parallel gelagerten Sachverhalt zur rückwirkenden Genehmigung bei einer Schenkung hat der BFH die Ansicht vertreten, dass die zivilrechtliche Rückwirkung der Genehmigung schenkungsteuerrechtlich nicht beachtlich sei.
Rz. 25
In der Praxis ist es häufig anzutreffen, dass der Erbfall ernstliche Zweifel und daraus folgenden Streit darüber auslöst, ob und in welchem Umfang ein Erwerb von Todes wegen vorliegt. Handelt es sich um eine Verfügung von Todes wegen, kann es zwischen den Beteiligten leicht zu Streit über die zutreffende Auslegung derselben kommen. Der BFH geht in st. Rspr. davon aus, dass das Ergebnis eines ernsthaft gemeinten Vergleichs, der die gütliche Regelung streitiger Erbverhältnisse zum Ziel hat, der Erbschaftsbesteuerung zugrunde zu legen sei. Deshalb geht der BFH auch von einem Entstehen der Steuer bereits mit dem Tode des Erblassers aus. Es ist also erbschaftsteuerrechtlich so zu verfahren, als ob der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen eine entsprechende Regelung getroffen hätte.