Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 1
1. und 2. RefE. Die Freigrenzenregelung des § 9 stammt bereits aus dem AStG in seiner ursprünglichen Fassung v. 8.9.1972. Die Freigrenze bei gemischten Einkünften war allerdings im 1. RefE v. 23.12.1970 noch nicht vorgesehen. Der Gedanke einer entsprechenden Freigrenze tauchte erstmals im 2. RefE vom März 1971 auf. Bereits nach dieser Fassung bezog sich die Freigrenze auf die nicht vom Hinzurechnungsbetrag ausgenommenen Einkünfte, dh. auf die Zwischeneinkünfte i.S. der §§ 7, 8 und 14, soweit sie nicht gem. § 13 aF von der Hinzurechnungsbesteuerung auszunehmen waren. Anders als die letztlich in Kraft getretene Gesetzesfassung stellte die Bestimmung ursprünglich nicht auf die Verhältnisse beim inländischen Anteilseigner einer ausländischen Gesellschaft, sondern nur auf die Verhältnisse bei der ausländischen Obergesellschaft ab. Danach hätte also nicht berücksichtigt werden können, wenn ein inländischer Anteilseigner gleichzeitig an mehreren ausländischen Obergesellschaften beteiligt ist und seine passiven Tätigkeiten auf diese Gesellschaften auffächert.
Rz. 2
3. RefE. Die ursprüngliche Konzeption ist auch noch im 3. RefE mit geringfügigen stilistischen Änderungen beibehalten worden, wobei das Gesetz ebenfalls an die etwas systemwidrig wirkende zweispurige Bezugnahme auf Zwischeneinkünfte einerseits und die diesen zugrunde liegenden Bruttoerträge andererseits anknüpfte.
Rz. 3
Verschärfung im KabE. In dem Bemühen, jedes auch noch so theoretische Steuerfluchtloch zu stopfen, verschärfte der Gesetzgeber § 9 noch einmal während der Beratungen im Bundestag. Anstelle der relativen wurde eine gemischte Freigrenze eingeführt. Die 10 vH-Grenze wurde unerheblich, wenn die in Betracht zu ziehenden Zwischeneinkünfte den absoluten Betrag von 120 000 DM überstiegen. Die absolute Grenze von 120 000 DM Zwischeneinkünften bezog sich nunmehr alternativ auf die ausländische Obergesellschaft oder auf den im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner. Damit sollten die Stpfl. erfasst werden, die ihre passiven Tätigkeiten auf eine Vielzahl von ausländischen Gesellschaften mit überwiegend Einkünften aus aktivem Erwerb aufgliederten, um auf diese Weise für jede Gesellschaft die Vorteile des § 9 KabE in Anspruch zu nehmen. Die insoweit angenommene Gesetzeslücke war allerdings nur unvollkommen geschlossen. Denn der unerwünschte Effekt konnte unschwer dadurch erreicht werden, dass ein im Inland ansässiger Anteilseigner zwischen sich und seine ausländischen Obergesellschaften jeweils eine Holding mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland schob. In diesem Falle konnte der absolute Betrag von 120 000 DM nur auf die Verhältnisse der inländischen Holding und nicht auf die Verhältnisse des dahinter stehenden Anteilseigners bezogen werden.
Rz. 4
§ 9 von untergeordneter Bedeutung. Aus der Sicht der praktischen Gesetzesanwendung kommt dem § 9 nur untergeordnete Bedeutung zu. Bis heute waren Fragen zu § 9 kein Gegenstand irgendeines Rechtsstreits. Im Schrifttum werden Probleme des § 9 kaum behandelt. Dies beruht vor allem darauf, dass die absolute Freigrenze von 120 000 DM zu niedrig gesetzt war. Abgesehen von der Euro-Umstellung (= Aufrundung) hielt der Gesetzgeber 30 Jahre lang es nicht für nötig, den Freigrenzenbetrag an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen. Er hatte auch keine Vorstellung darüber, in welchem Umfang der Tätigkeitenkatalog des § 8 die Auslandsaktivitäten der deutschen Wirtschaft tangiert. Tatsache ist jedenfalls, dass praktisch alle Auslandstöchter deutscher Wirtschaftsunternehmen auch Erträge aus Zinsen, Lizenzen, Vermietung und Verpachtung uam. erzielen. Diese Erträge stehen zwar regelmäßig in engem Zusammenhang mit anderen aktiven Tätigkeiten. Jedoch bleibt ihre Einordnung unter den Katalog des § 8 ein Problem des Einzelfalles. Damit zeigt sich gleichzeitig ein Widersinn der Regelung des § 9. Denn für ein größeres Unternehmen bedeutet ein Umsatz von 80 000 Euro einen kaum erfassbaren und vor allem vorher nicht kalkulierbaren Betrag. Eine deutsche Auslandstochter, die Millionenbeträge im Ausland einnimmt, wird niemals ausschließen können, dass sich darunter Einnahmen von mehr als 80 000 Euro befinden, die der Außenprüfer als Zwischeneinkünfte qualifizieren könnte. Entsprechend trifft die Regelung vor allem Unternehmen mit umfangreichen Auslandsaktivitäten, obwohl gerade sie am wenigsten dem Verdacht ausgesetzt sind, mit Hilfe von Zwischengesellschaften Einkunftsquellen künstlich ins Ausland zu verlagern. Sie wirkt nur zugunsten kleinerer Gesellschaften mit geringen Aktivitäten. Aus unserer Sicht hat der Gesetzgeber alle Veranlassung, die Regelung des § 9 zu überdenken und abzuschaffen. Dies wäre ein Beitrag zur Vereinfachung des AStG.