Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
Rz. 46
Verletzung der Grundfreiheiten des Unionsrechts. Die Frage der Unionsrechtswidrigkeit von § 15 ist im Schrifttum vertieft diskutiert und zumeist bejaht worden. Geltend gemacht wurde ein ungerechtfertigte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit. Zum Verhältnis beider Grundfreiheiten ist zu beachten, dass die primäre Beschränkungsrichtung des § 15 dahin geht, der Verlagerung von Kapital auf ausländische Stiftung entgegenzuwirken. Der EuGH dürfte daher die Niederlassungsfreiheit hinter der Kapitalverkehrsfreiheit zurücktreten lassen. Denkbar ist zusätzlich auch eine Beschränkung der Freizügigkeit gem. Art. 21 AEUV. Begründet wird dies damit, dass Bezugsberechtigte, die ursprünglich im Ausland wohnhaft waren, aufgrund der steuerlichen Behandlung ausländischer Stiftungen davon abgehalten werden, sich in Deutschland niederzulassen. Insgesamt dürfte daher die Kapitalverkehrsfreiheit die größte praktische Bedeutung haben.
Rz. 47
Eröffnung der Kapitalverkehrsfreiheit. Die Errichtung einer Stiftung wird regelmäßig mit Kapitalbewegungen verbunden sein, weshalb primär die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 Abs. 1 AEUV betroffen sein kann. Für eine abschließende Beurteilung dieser Frage ist jedoch in jedem Einzelfall zu prüfen, inwieweit die Errichtung einer ausländischen Stiftung mit einer "grenzüberschreitenden" Kapitalbewegung verbunden ist. Dies kann dann problematisch sein, wenn der Stifter im Ansässigkeitsstaat der (zu gründenden) Stiftung ansässig ist und in diesem Staat belegenes Vermögen auf die Stiftung übertragen will. Ungeachtet dessen kann auch das Einräumen einer Bezugs- oder Anfallsberechtigtenstellung als Kapitalverkehrsvorgang zu qualifizieren sein. Dies führt zu einer grenzüberschreitenden Kapitalbewegung, soweit der Destinatär – wie im Rahmen von § 15 erforderlich – unbeschränkt steuerpflichtig ist. Nach der für die Auslegung von Art. 63 AEUV maßgeblichen Kapitalverkehrsrichtlinie wird das Einräumen einer solchen Bezugs- oder Anfallsberechtigung zwar nicht als tauglicher Kapitalverkehrsvorgang genannt. Die Nomenklatur der Richtlinie erklärt jedoch ausdrücklich selbst, nicht abschließend zu sein. Insbesondere umfasst die Nomenklatur auch Schenkungen. Ist aber bereits der schuldrechtliche Schenkungsvertrag als dem eigentlichen Kapitalverkehrsvorgang vorgelagerter Akt von der Kapitalverkehrsrichtlinie erfasst, dann muss das auch für das vergleichbare Einräumen einer Begünstigtenstellung im Rahmen der Errichtung einer Stiftung gelten.
Rz. 48
Auseinanderfallen von Stifter und Destinatär steht Anwendung von Art. 63 AEUV nicht entgegen. Die weitere Frage ist die, ob es für die Anwendung von Art. 63 AEUV schädlich ist, dass Stifter und Destinatäre mitunter nicht personenidentisch sind. Dies ist etwa dann denkbar, wenn die Zurechnung nach § 15 Abs. 1 allein bei den Destinatären ansetzt. In diesem Fall stimmt derjenige, der eine etwaige Behinderung seines Kapitalverkehrsvorgangs erfährt (der Stifter), nicht mit demjenigen überein, der die Behinderung geltend macht (der Destinatär). Allerdings wird der EuGH darin möglicherweise kein Hindernis sehen. So ließ er es etwa auch in der Rechtssache "Schempp" genügen, dass der eine Verletzung der Grundfreiheiten rügende Ehemann selbst nicht von der Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV Gebrauch machen wollte, sondern dessen Ehefrau.
Rz. 49
Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit. § 15 beschränkt auch die Kapitalverkehrsfreiheit. Nach ständiger Rspr. des EuGH begründen nationale Maßnahmen eine Beschränkung, "die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können". Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Denn der von § 15 bewirkte Durchgriff durch die Rechtspersönlichkeit der ausländischen Stiftung führt dazu, dass Stifter oder Destinatär eine Steuerlast zu tragen haben, ohne über die nötigen liquiden Mittel zu verfügen. Insbesondere der Destinatär wird regelmäßig nicht über die Möglichkeit verfügen, einen Liquiditätszufluss herbeizuführen. Bei einer inländischen Stiftung findet ein solcher Durchgriff indes nicht statt. In der zur britischen Hinzurechnungsbesteuerung ergangenen Entscheidung "Cadbury Schweppes" hat der EuGH einen solchen diskriminierenden Durchgriff (dort allerdings durch das Rechtskleid einer Kapitalgesellschaft) zum Anlass genommen, um eine Beschränkung der Grundfreiheiten zu bejahen. Es kann daher kein wirklicher Zweifel bestehen, dass § 15 die Kapitalverkehrsfreiheit beschränkt. Es ist das protektionistisch motivierte Ziel des § 15, von der Errichtung einer ausländischen Stiftung abzuhalten.
Rz. 50
Rechtfertigung aus Gründen der Missbrauchsabwehr nur bei Zulassung des Gegenbeweises im Einzelfall. Angesichts der Zielsetzung von § 15 (vgl. Rz. 21) liegt es an sich nahe, die dargestellten Beschränkungen aus zwingenden Gründen des öffentlic...