„... 3. die mindestens
- a) ein Kennzeichen im Sinne des § 138e Absatz 1 aufweist und von der ein verständiger Dritter unter Berücksichtigung aller wesentlichen Fakten und Umstände vernünftigerweise erwarten kann, dass der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile die Erlangung eines steuerlichen Vorteils im Sinne des Absatzes 3 ist, oder
- b) ein Kennzeichen im Sinne des § 138e Absatz 2 aufweist.”
Rz. 52
Mindestens ein Kennzeichen. Die wohl zentrale Regelung der §§ 138d ff. AO betrifft § 138d Abs. 2 Nr. 3 (i.V.m. § 138e AO). Demnach ist einer Mitteilung vorausgesetzt, dass wenigstens eines einer (grundsätzlich) abschließenden Liste an Kennzeichen erfüllt ist. Für einen Teil dieser Kennzeichen muss zudem der sog. Main-Benefit-Test bejaht werden (s. Rz. 53). Die beiden Gruppen an Kennzeichen (§ 138d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a bzw. b AO) können alternativ erfüllt sein, d.h., für eine Mitteilung ist es ausreichend, wenn eines der Kennzeichen nach § 138d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AO (sowie der Main-Benefit-Test) oder eines der Kennzeichen nach § 138d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AO (ohne Main-Benefit-Test) vorliegt. Die Kennzeichen orientieren sich eng an den entsprechenden EU-Vorgaben. Ob eines oder mehrere Kennzeichen gegeben sind, ist für die Mitteilungspflicht bzw. den Inhalt der Mitteilung grundsätzlich unerheblich.
Rz. 52.1
Dauersachverhalte. Grundsätzlich sind entsprechend dem zeitlichen Anwendungsbereich (s. Vor § 138d AO Rz. 84) der Regelung für die Beurteilung, ob eine mitteilungspflichtige Steuergestaltung vorliegt, nur solche Sachverhalte zu berücksichtigen, die nach dem 24.6.2018 verwirklicht wurden. Im Umkehrschluss sind vor dem 25.6.2018 verwirklichte Dauersachverhalte grundsätzlich nicht mitteilungspflichtig. Dies ist aus Praxissicht zu begrüßen. So wäre es auch mit kaum vertretbarem Aufwand verbunden, bspw. alle bestehenden Vertragsverhältnisse daraufhin zu überprüfen, ob diese mgwl. die Voraussetzungen der §§ 138d ff. AO erfüllen. M.a.W. sollte ein bestehendes Vertragsverhältnis grundsätzlich nicht durch das Inkrafttreten der §§ 138d ff. AO in die Mitteilungspflicht "hineinwachsen" können. Eine Mitteilungspflicht soll nur dann resultieren, wenn nach dem 24.6.2018 wesentliche Änderungen eingetreten sind, die für sich genommen die Voraussetzungen einer mitteilungspflichtigen Steuergestaltung erfüllen (s. auch § 138f AO Rz. 311 zur Aktualisierung von Mitteilungen bzw. zur grundsätzlich nicht bestehenden Aktualisierungspflicht). Auch diese von der Finanzverwaltung geteilte Auffassung ist nachvollziehbar und letztlich sachgerecht. Andernfalls könnte die Mitteilungspflicht dadurch unterlaufen werden, dass z.B. eine bestehende Vertragsbeziehung nur zu dem Zweck immer weiter modifiziert wird, die Mitteilungspflicht zu unterlaufen.
Rz. 52.2
Umsetzungshandlungen nicht mitteilungspflichtig. Das BMF weist zutreffend darauf hin, dass eine reine Umsetzungshandlung (z.B. die Bedienung einer Zahlungsverpflichtung) nicht mitteilungspflichtig bzw. als neue, mitteilungspflichtige Steuergestaltung zu werten ist.
Beispiel 6
Eine Finanzierungsgesellschaft stattet über verschiedene zwischengeschaltete Gesellschaften eine Akquisitionsgesellschaft mit Kapital (Eigen- und Fremdkapital) aus. Aufgrund von Liquiditätsengpässen erfolgt eine Nachfinanzierung.
Lösung: Erfüllt die erste Finanzierung die Merkmale einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung und wird ordnungsgemäß mitgeteilt, ist die Nachfinanzierung nicht erneut mitzuteilen, weil sie nicht als wesentliche Änderung bzw. neue Gestaltung anzusehen ist.
Rz. 52.3
Änderung steuerlicher Rahmenbedingungen führen nicht zu Mitteilungspflicht. Erfüllt eine Steuergestaltung nur wegen außerhalb der Einflusssphäre der Beteiligten stehenden Änderungen der steuerlichen Rahmenbedingungen (nachträglich) die Voraussetzungen nach §§ 138d ff. AO, zieht dies keine Mitteilungspflicht nach sich. M.a.W. gibt es kein passives Hineinwachsen in die Mitteilungspflicht, z.B. weil sich gesetzliche Änderungen ergeben oder ein Doppelbesteuerungsabkommen erstmals geschlossen oder neu gefasst wird. Etwas anderes soll nur gelten, wenn die künftige Änderung für die Steuergestaltung wesentlich ist und bewusst berücksichtigt wurde. Damit müssten Intermediär und Nutzer eine Steuergestaltung absichtlich schon zu einem Zeitpunkt zur Umsetzungsreife bringen, zu dem die relevanten Rahmenbedingungen noch nicht geändert wurden, es aber absehbar ist, dass diese geändert werden. Die Auffassung des BMF ist grundsätzlich praxisnah und sachgerecht. Denn eine mitteilungspflichtige Steuergestaltung setzt immer ein bewusstes Handeln, insbesondere von Nutzer und Intermediäre voraus. Ob die wohl vorsorglich formulierte Ausnahmeregelung realistische Anwendungsfälle hat, scheint zweifelhaft.