Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
Rz. 293
Entstehungsgeschichte und Regelungszweck. § 8 Abs. 1 Nr. 9 wurde durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz in das Außensteuergesetz aufgenommen. Hintergrund war die Einführung von § 8 b Abs. 1 und 2 KStG im Zuge der Unternehmensteuerreform 2000/2001 und die damit verbundene Verschärfung der Kritik an § 8 Abs. 2 aF (Beschränkung der Aktivität von Beteiligungserträgen auf Landes- und Funktionsholding). Als Reaktion darauf wurde § 8 Abs. 2 aF aufgehoben. Gewinnausschüttungen nachgelagerter Gesellschaften wurden stattdessen generell gem. § 8 Abs. 1 Nr. 8 zu aktiven Einkünften. Gleiches soll über § 8 Abs. 1 Nr. 9 gelten, wenn die Gewinne nachgelagerter Gesellschaften zunächst thesauriert und erst später über eine Anteilsveräußerung realisiert werden. Die so geschaffene "Aktivität" zieht ihre Berechtigung allerdings allein aus dem Umstand, dass etwaige passive Einkünfte über § 14 bereits auf der Ebene der nachgelagerten ausländischen Gesellschaft auf ein "angemessenes" Steuerniveau heraufgeschleust werden (oder die Einkünfte auf Ebene einer nachgelagerten inländischen Gesellschaft generell einer angemessenen inländischen Besteuerung unterlegen haben). Denn ist die Erfassung der den Dividenden und Anteilsveräußerungsgewinnen zugrunde liegenden Einkünfte im Rahmen der §§ 7–14 sichergestellt, so entfällt grundsätzlich ein Bedürfnis für eine Hinzurechnungsbesteuerung auf die Dividenden und Anteilsveräußerungsgewinne. Dies macht zugleich deutlich, warum der Gesetzgeber des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes insoweit eine Ausnahme von der Aktivität von Anteilsveräußerungsgewinnen machen wollte, als der Gewinn auf Wirtschaftsgüter entfällt, die der Erzielung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter dienen. Denn bei diesen Wirtschaftsgütern können sich in besonderem Maße (möglicherweise sogar gezielt) stille Reserven bilden, ohne dass diese über § 14 auf der Ebene der nachgeschalteten Gesellschaft der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Im Übrigen hat es der Gesetzgeber offensichtlich als unbeachtlich angesehen, dass in der Hinzurechnungsbilanz gebildete (passive) stille Reserven im Rahmen einer Anteilsveräußerung zu aktiven Einkünften werden und ggf. sogar aus der Hinzurechnungsbesteuerung ausscheiden (zB bei Verkauf der Beteiligung an Ausländer). Später wurde eine weitere Ausnahme für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen REIT-AG aufgenommen.
Rz. 294
Ungleichbehandlung im Vergleich zu § 8 b Abs. 2 KStG. Die in § 8 Abs. 1 Nr. 9 enthaltenen Einschränkungen für die Aktivität von Beteiligungsveräußerungsgewinnen sind gleichwohl überaus problematisch. Dazu stelle man sich eine im Inland unbeschränkt stpfl. Kapitalgesellschaft M vor, die die Anteile an einer ausländischen Zwischengesellschaft T hält, die ihrerseits die Anteile an der ausländischen Kapitalanlagegesellschaft E hält und letztere Anteile veräußert. Unterstellt man eine Niedrigbesteuerung für den Anteilsveräußerungsgewinn, so löst der Sachverhalt eine Hinzurechnungsbesteuerung aus. Würde allerdings die inländische M ihre Anteile an der ausländischen T verkaufen, so wäre der dadurch erzielte Gewinn nach § 8 b Abs. 2 KStG steuerfrei. Nur für den Fall, dass die Veräußerung an einen Inländer erfolgt, bliebe eine Besteuerung der stillen Reserven im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung sichergestellt. Letztlich stellen die Anteile der M an T aber ein "Mehr" gegenüber den Anteilen der T an E dar. Die Veräußerung des "Mehr" wird steuerlich günstiger als die des "Weniger" behandelt. § 8 Abs. 1 Nr. 9 lädt im Übrigen dazu ein, dass die T unmittelbar vor der Anteilsveräußerung ihre Geschäftsleitung ins Inland verlegt. Sie wird dann im Inland unbeschränkt körperschaftstpfl., was wegen § 7 Abs. 1 jede Hinzurechnungsbesteuerung ausschließt. Auch die Annahme einer Ersatzrealisation im Zeitpunkt des Austrittes aus der Hinzurechnungsbesteuerung kommt nicht in Betracht, insbes. nicht auf Grundlage von § 12 Abs. 3 KStG, weil die ausländische Gesellschaft durch die Verlegung der Geschäftsleitung nicht aus der unbeschränkten Steuerpflicht eines EU-Mitgliedstaates ausscheidet. Vielmehr tritt die ausländische Gesellschaft in die unbeschränkte Steuerpflicht ein. Dass T ihrerseits § 8 b Abs. 2 KStG auf den Anteilsveräußerungsgewinn unmittelbar in Anspruch nehmen kann, ändert daran nichts. Im Inland kann T die Anteile an E mit deren gemeinen Wert bewerten (§ 4 Abs. 1 Satz 7 Halbs. 2 iVm. § 6 Abs. 1 Nr. 5 a EStG), was zumindest bei zeitnaher Veräußerung die Besteuerung eines Anteilsveräußerungsgewinns im Inland praktisch ausschließt. Wiederum zeigt sich, dass die Hinzurechnungsbesteuerung den Charakter einer Strafbesteuerung hat. Sie ist wesentlich ungünstiger als die Besteuerung vergleichbarer Inlandssachverhalte.
Rz. 295
Verhältnis zu § 8 Abs. 1 Nr. 8. Festzuhalten ist, dass die in § 8 Abs. 1 Nr. 8 und 9 angesprochenen Gewinnausschüttungen und Beteiligungsveräußerungsgewinne unter Umstände...