Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
Rz. 308
Auflösung einer anderen Gesellschaft. § 8 Abs. 1 Nr. 9 findet auch Anwendung, wenn die in Anm. 304 genannte Gesellschaft aufgelöst und ein Liquidationsgewinn ausgekehrt wird. Wann eine ausländische Gesellschaft als aufgelöst zu betrachten ist, sollte vorrangig nach dem (ausländischen) Zivilrecht des Ansässigkeitsstaates der aufzulösenden Gesellschaft zu beurteilen sein.
Rz. 309
Grenzüberschreitende Verlegung von Sitz oder Geschäftsleitung. Vor diesem Hintergrund sollte auch die grenzüberschreitende Verlegung des Sitzes oder der Geschäftsleitung einer ausländischen Gesellschaft im Ausgangspunkt keine zivilrechtliche Auflösung bewirken, wenn sich der Wegzug nach ausländischem Zivilrecht ohne Auflösung vollzieht. Schon § 12 Abs. 1 KStG idF vor Änderung durch das SEStEG konnte diesen Grundsatz aus steuerrechtlicher Sicht nicht durchbrechen, weil die Regelung nach ihrem Wortlaut nur auf unbeschränkt stpfl. Körperschaften anzuwenden war (vgl. § 10 AStG Anm. 314) und der BFH eine fiktive Deutschansässigkeit einer ausländischen Zwischengesellschaft ablehnt. Im Umkehrschluss zu § 12 Abs. 3 KStG idF des SEStEG gilt dies nach wie vor für grenzüberschreitende Wegzugsvorgänge innerhalb des EU-/EWR-Raumes (kein Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht eines EU-/EWR-Staates), vorausgesetzt, nach ausländischem Zivilrecht liegt nicht bereits eine Auflösung vor. Bei der Beurteilung letzterer Frage wird man insbes. die einschlägige EuGH-Rspr. zur Zulässigkeit der Sitztheorie zu beachten haben, wobei damit noch nicht abschließend geklärt ist, ob auch das Verlegen des statutarischen Sitzes unter Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit der ausländischen Gesellschaft vollzogen werden kann. Der Wegzug einer ausländischen Gesellschaft von einem Nicht-EU-/EWR-Staat in einen anderen Nicht-EU-/EWR-Staat wird von § 12 Abs. 3 KStG idF des SEStEG nicht erfasst, so dass bei fehlender Auflösung nach ausländischem Zivilrecht keine Auflösung i.S. von § 8 Abs. 1 Nr. 9 gegeben ist; einen allgemeinen Entstrickungsgrundsatz kennt die Hinzurechnungsbesteuerung nach hier vertretener Auffassung nicht (vgl. Anm. 373). Eine andere Frage ist die, ob § 12 Abs. 3 KStG idF des SEStEG eine steuerrechtliche Auflösung i.S. von § 8 Abs. 1 Nr. 9 fingiert, wenn eine EU-/EWR-Gesellschaft in einen Nicht-EU-/EWR-Staat verzieht. Sofern man § 12 Abs. 3 KStG idF des SEStEG als eine Regelung i.S. des § 10 Abs. 3 begreift, müsste man dies dem Wortlaut nach eigentlich bejahen. Solange die ausländische Gesellschaft allerdings nach dem (nach ausländischem Recht möglichen) Wegzug mit ihren Einkünften abstrakt den §§ 7–14 AStG unterliegt, kann man zumindest gut argumentieren, dass die ausländische Gesellschaft (besser: die von ihr erzielten Einkünfte) nicht aus der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland ausgeschieden ist (sind), zumal für eine in einem Nicht-EU-/EWR-Staat ansässige Gesellschaft der Gegenbeweis nach § 8 Abs. 2 AStG nicht geführt können werden soll. Eine Auflösung widerspräche auch im Übrigen dem Grundsatz, dass es innerhalb der §§ 7 bis 14 keine Entstrickung gibt (vgl. Anm. 373). Die Frage ist jedoch gegenwärtig noch ungeklärt.
Rz. 310
Umwandlungsvorgänge. Für Umwandlungsvorgänge ist die Maßgeblichkeit ausländischen Zivilrechtes zwar nach wie vor ungeklärt (vgl. die Nachweise in Anm. 367), dürfte aber wegen der Aufnahme von § 8 Abs. 1 Nr. 10 (und der damit verbundenen fiktiven Anwendung des Umwandlungssteuergesetzes) in der Praxis eine nur noch untergeordnete Rolle spielen. (vgl. Anm. 303 und 358 ff.; zur Relevanz im Rahmen des Formwechsels von Nicht-EU-EWR-Gesellschaften vgl. Anm. 367).
Rz. 311
Zusammenwirken von § 8 Abs. 1 Nr. 9 und § 14 im Rahmen der Liquidation. § 8 Abs. 1 Nr. 9 findet nur auf Gesellschafterebene Anwendung, während auf Gesellschaftsebene die Liquidation als Veräußerung der Einzelwirtschaftsgüter der nachgelagerten Gesellschaft begriffen wird; die dadurch realisierten Gewinne können über § 14 der Hinzurechnungsbesteuerung zugeführt werden. Die Vorschrift ist deshalb nicht ganz unproblematisch: Einerseits führt die Liquidation auf der Ebene der liquidierten Gesellschaft zu einer Gewinnrealisation, die ihrerseits der Hinzurechnungsbesteuerung über § 14 unterliegen kann, andererseits wird der Liquidationsgewinn an die Gesellschaft ausgekehrt. Damit droht grundsätzlich eine Doppelbesteuerung. Wirtschaftlich hat der Liquidationsgewinn für die Gesellschafter eigentlich Dividendencharakter, weshalb eine Erfassung unter § 8 Abs. 1 Nr. 8 sachgerechter wäre. Allerdings ist § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG aufgrund seines eindeutigen Wortlautes insoweit lex specialis gegenüber § 8 Abs. 1 Nr. 8 (vgl. aber Anm. 312 zur Aufteilung der Bezüge anlässlich einer Liquidation). Vermeiden lässt sich die unangemessene Doppelbesteuerung zB durch eine nach der Auflösung beschlossene Ausschüttung von Gewinnen für Geschäftsjahre vor der Auflösung. Diese gehören zu den Gewinnaus...