Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
Rz. 464
Begründung eines Ortes der Geschäftsleitung bzw. einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte. Die Etablierung einer geschäftsleitenden Holding ist mit dem Risiko verbunden, dass die Tätigkeit der Körperschaft für die inländische Tochtergesellschaft einen ausländischen Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO, Art. 4 Abs. 1 OECD-MA 2017) bzw. eine ausländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte (§ 12 Satz 2 Nr. 1 AO, Art. 5 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA 2017) begründet, wenn die Holdingtätigkeit im Ausland ausgeübt wird. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen die Geschäftsführungsaufgaben der Körperschaft und der inländischen Gesellschaft in Personalunion besetzt werden. "(Geschäfts-)Leitung" meint dabei aber nur die Leitung "einfacher" Geschäftsfunktionen, d.h. die operative (einzelfallbezogene) Leitung des laufenden Tagesgeschäfts (laufende Geschäftsleitung). Zum Tagesgeschäft gehören die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb der (Tochter-)Gesellschaft mit sich bringt, und solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören. Zum Tagesgeschäft gehört hingegen nicht die Festlegung der Grundsätze der Unternehmenspolitik und die Mitwirkung der Gesellschafter an ungewöhnlichen Maßnahmen bzw. an Entscheidungen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung (sog. Grundlagengeschäfte). Der Gesellschafter begründet daher nicht schon durch die Ausübung seines gesellschaftsrechtlichen Einflusses auf die gesetzlichen Vertreter einen Ort der Geschäftsleitung für seine Gesellschaft. Vielmehr ist erforderlich, dass der Gesellschafter die tatsächliche Geschäftsleitung über das Tagesgeschäft völlig an sich zieht, d.h. nicht nur den laufenden Geschäftsgang beobachten, kontrollieren und fallweise beeinflussen kann, sondern ständig in die Tagespolitik der Gesellschaft eingreift und dauernd die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erforderlichen Entscheidungen von einigem Gewicht trifft (sog. faktischer Geschäftsführer). Zwar betreffen die Geschäftsleitungsfunktionen einer geschäftsleitenden Holding ganz überwiegend nicht das Tagesgeschäft (vgl. Rz. 450, 459), sodass – nach obigen Grundsätzen – allein deren Ausübung durch die Körperschaft (auch im Ausland) u.E. keinen Ort der Geschäftsleitung im Ausland begründen kann. Gleichwohl kann eine geschäftsleitende Holding auch einfache Geschäftsfunktionen ausüben (vgl. Rz. 446, 457). In diesem Fall wird man aber in aller Regel den Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung i.S.v. § 10 AO gleichwohl nicht verlegen. Es besteht aber das Risiko, dass auf Basis der Rechtsprechung des BFH eine (zweite) Geschäftsleitungsbetriebsstätte oder eine "klassische" Betriebsstätte im Ausland begründet wird. Darüber hinaus ist ferner darauf zu achten, dass die Körperschaft ihren Ort der Geschäftsleitung nicht ins Inland verlegt bzw. hier eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte begründet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die übergeordnete Steuerung der Geschäftsaktivitäten der Tochtergesellschaften zwar nicht bei diesen zum Tagesgeschäft gehört, wohl aber zum Tagesgeschäft der geschäftsleitenden Holdingtätigkeit der Körperschaft. Um die genannten Risiken auszuschließen, wird man in der Praxis zu beachten haben, dass die Entscheidungen des Tagesgeschäfts räumlich dort getroffen werden, wo die jeweilige Gesellschaft ansässig ist (d.h. für die inländische Tochtergesellschaft im Inland und für die ausländische Körperschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat), und eine ausführliche Dokumentation über die Ausübung der Führungstätigkeiten (Ort, Zeit der Entscheidung, Reisekostenbelege etc) erstellt wird. Darauf ist ganz besonders in Fällen der Personalunion zu achten. In der Gestaltungspraxis wird man die Einflussnahme der Körperschaft so auszugestalten haben, dass einerseits die Intensität für die Annahme einer geschäftsleitenden Holdingtätigkeit erreicht, andererseits aber die für den Ort der Geschäftsleitung bzw. die Begründung einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte maßgebliche Einflussnahme auf das Tagesgeschäft ausgeschlossen wird.