Rz. 9

[Autor/Stand] Rückwirkende Anwendung. Nach § 52 Abs. 8c Satz 1 EStG i.d.F. des ATADUmsG ist § 4k EStG erstmals auf Aufwendungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2019 entstehen. Aufwendungen, die rechtlich bereits vor dem 1.1.2020 verursacht wurden, gelten nur insoweit als nach dem 31.12.2019 entstanden, als ihnen ein Dauerschuldverhältnis (z.B. Darlehensvertrag, Mietvertrag, Lizenzvertrag oder Dienstleistungsvertrag) zugrunde liegt und sie ab diesem Zeitpunkt ohne wesentliche Nachteile hätten vermieden werden können (§ 52 Abs. 8c Satz 2 EStG). Eine denkbare Konstellation wären Abschreibungen von Wirtschaftsgütern, deren konzerninterner Erwerb einige Jahre zurückliegt, aber seinerzeit nicht zur Versteuerung des Veräußerungsgewinns beim Verkäufer geführt hat.[2] Ein Nachteil ist insbesondere dann wesentlich, wenn sämtliche mit der Vermeidung der Aufwendungen verbundenen Kosten den steuerlichen Vorteil aufgrund der Besteuerungsinkongruenz übersteigen (§ 52 Abs. 8c Satz 3 EStG). Ferner gilt die rückwirkende Anwendung der Vorschrift dann nicht, wenn das Dauerschuldverhältnis nach dem 31.12.2019 wesentlich geändert wurde (§ 52 Abs. 8c Satz 4 EStG). Hierbei geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine solche Vertragsänderung zur Beendigung oder § 4k EStG-konformen Anpassung des Dauerschuldverhältnisses genutzt werden kann.[3] Folglich haben Steuerpflichtige die Neuregelungen des § 4k EStG bereits im Veranlagungszeitraum 2020 anzuwenden. Allerdings ist bei Dauerschuldverhältnissen der Anwendungsbereich des § 4k EStG nur dann eröffnet, wenn es dem Steuerpflichtigen zumutbar war, die Entstehung der Aufwendungen zu verhindern.[4] Da das ATADUmsG erst am 25.6.2021 im Bundesrat beschlossen wurde und am 30.6.2021 im BGBl. I 2021, 2035 verkündet wurde, stellt sich die Frage, ob die rückwirkende Anwendung auf Aufwendungen, die im Jahr 2020 angefallen sind, verfassungsrechtlich zulässig ist.[5]

 

Rz. 10

[Autor/Stand] Rückwirkungsdoktrin des BVerfG. Die rückwirkende Inkraftsetzung belastender Steuerrechtsnormen – wie hier § 4k EStG – kollidiert sowohl mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Gebot des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG)[7] als auch mit den Freiheitsrechten der Art. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG.[8] Mit Blick auf den dadurch verfassungsrechtlich abgesicherten Vertrauensschutz unterscheidet die Rechtsprechung des BVerfG zwischen echter und unechter Rückwirkung.[9] Eine echte Rückwirkung liegt dann vor, wenn eine Rechtsnorm nachträglich ändernd in bereits in der Vergangenheit abgewickelte Tatbestände eingreift. Die echte Rückwirkung ist unzulässig, es sei denn, das Vertrauen der Bürger ist nicht als durchgehend schutzwürdig anzusehen. Demgegenüber ist die unechte Rückwirkung, wenn also die Rechtsnormen nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirken, grundsätzlich zulässig, es sei denn, bei Abwägung im Einzelfall ist das Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand einer bestimmten Regelung gegenüber dem Wohl der Allgemeinheit höher einzuschätzen.[10] Diese Rechtsprechungsgrundsätze spielen im Hinblick auf die Veranlagungszeitraumrechtsprechung des BVerfG keine besondere Rolle. Insbesondere deswegen, weil bei jährlich neu zu veranlagenden Steuern (Jahressteuern) darauf abgestellt wird, dass der Sachverhalt erst mit der Entstehung des Steueranspruchs am Ende der jeweiligen Besteuerungsperiode abgeschlossen ist. Dies hat zur Folge, dass unterjährige Änderungen auf den Beginn des laufenden Jahres stets als unechte Rückwirkung eingestuft werden.[11] Nach Maßgabe der vorstehenden Rechtsprechung des BVerfG handelt es sich bei dem rückwirkenden Abzugsverbot nach § 4k EStG in Bezug auf das Jahr 2020 um eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung, weil der Gesetzgeber dadurch eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert.[12] Indessen liegt in Bezug auf das Jahr 2021 eine unechte Rückwirkung vor, die generell zulässig wäre.[13] Letzteres wird allerdings nur dann nicht gelten, wenn bei Abwägung des Einzelfalls das Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage gegenüber dem Wohl der Allgemeinheit überwiegt. Es reicht allerdings nicht, dass der Gesetzgeber mit der Gesetzesänderung generell anerkennenswerte Ziele wie die Schließung von Besteuerungslücken oder die Verwirklichung von Steuergerechtigkeit verfolgt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Gesetzgeber ein besonderes Interesse daran geltend machen kann, anerkennenswerte Ziele im Nachhinein auch auf in der Vergangenheit verwirklichte Sachverhalte zur Anwendung zu bringen.[14] Die Dringlichkeit der rückwirkenden Anwendung des Abzugsverbots ist deswegen zweifelhaft, weil die davon erfassten hybriden Finanzinstrumente und Strukturen seit Jahren bekannt sind, ohne dass der Gesetzgeber bislang eingegriffen hat (vgl. Rz. 1). Hinzu kommt, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG Rückwirkungen auf den Tag des endgültigen Bundestagsbeschlusses unproblematisch sind, weil der Steuerpflichtige ...

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