Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
1. BEPS-Aktionsplan (2015)
Rz. 63
Umsetzung von Aktionspunkt 6. § 50d Abs. 3 EStG soll ausweislich der Gesetzesbegründung den Mindeststandart des Aktionspunkts 6 des BEPS-Aktionsplans der OECD/G20 umsetzen, wie er bereits in Art. 6 und 7 MLI sowie Art. 29 OECD-MA 2017 umgesetzt wurde. Aktionspunkt 6 knüpft an die bereits früher entstandenen Arbeiten im sog. Conduit-Companies-Report (1986), den Ausführungen zum Begriff des Nutzungsberechtigten (vgl. Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 12 Abs. 1 OECD-MA 2017) sowie den im OECD-MK enthaltenen Ausführungen zum Abkommensmissbrauch (Rz. 54 ff. OECD-MK 2017 zu Art. 1) an. Mit Aktionspunkt 6 werden Maßnahmen vorgeschlagen, die die Gewährung von Abkommensvorteilen in "unangemessenen Fällen" ausschließen sollen, insbesondere in sog. Treaty-Shopping-Fällen. Für das Vorgehen gegen Treaty-Shopping-Gestaltungen schlägt der Aktionspunkt 6 eine "Drei-Punkte-Strategie" für die Anpassung bestehender DBA vor:
- 1. Einfügung einer Erklärung, dass die Vertragstaaten die Steuerumgehung, insbesondere Treaty Shopping, zu vermeiden beabsichtigen (vgl. Art. 6 MLI).
- 2. Einfügung einer besonderen Missbrauchsvermeidungsklausel in Form einer LoB-Klausel nach dem Vorbild des Art. 28 DBA-USA (vgl. Art. 7 Abs. 8 bis 13 MLI, Art. 29 Abs. 1 bis 8 OECD-MA 2017).
- 3. Einfügung einer allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschrift in Form eines sog. Principal Purpose Test (PPT) zur Erfassung sonstiger Treaty-Shopping-Gestaltungen, wie etwa bestimmte Durchlauffinanzierungsstrukturen (vgl. Art. 7 Abs. 1 MLI, Art. 29 Abs. 9 OECD-MA 2017)
Die OECD/G20-Staaten haben sich darauf verständigt, den im Aktionspunkt 6 definierten Mindeststandart umzusetzen, indem sie in ihre DBA entweder (i) eine Kombination aus LoB- und PPT-Klausel, (ii) nur die PPT-Klausel oder (iii) die LoB-Klausel, ergänzt um einen Mechanismus zur Berücksichtigung von bislang durch ihre Doppelbesteuerungsabkommen nicht abgedeckten Durchlauffinanzierungsgestaltungen, aufnehmen. Im Rahmen des MLI hat sich Deutschland für den Weg (ii) entschieden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ganz verständlich, warum gerade auch noch § 50d Abs. 3 EStG zusätzlich (überflüssigerweise) den Mindeststandard des Aktionspunkts 6 umsetzen soll. Es mag vielleicht den Schein einer gewissen Rechtfertigung (insbesondere auch vor dem Unionsrecht) hervorrufen, wenn man sich auf den BEPS-Aktionsbericht der OECD beruft. Deutlich bezeichnender ist aber, wenn es in der Gesetzesbegründung heißt: „[D]er Mindeststandard nach Aktionspunkt 6 des BEPS-Aktionsplans der OECD und G20 [erfordert] für die Anwendung von DBA, die keine auf einem sog. Hauptzweck- Kriterium basierende allgemeine Missbrauchsvermeidungsvorschrift enthalten, dass eine spezifische Missbrauchsvermeidungsvorschrift zur Bekämpfung von Durchlauffinanzierungsstrukturen entweder im nationalen Steuerrecht oder im DBA selbst anwendbar sein muss. Die Neufassung des § 50d Absatz 3 erfüllt die Anforderungen des Mindeststandards an diese Vorschrift.” Diese Ausführungen sind widersprüchlich und treffen vor dem Hintergrund des Abschlussberichts zu Aktionspunkt 6 nicht zu: Zum einen soll gerade eine allgemeine Missbrauchsvermeidungsvorschrift in Form eines PPT ("Hauptzweck-Kriterium") sog. Durchlauffinanzierungsstrukturen erfassen, nicht hingegen eine spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift (LoB-Klausel). Ferner würde der damit offenbar angesprochene Weg (iii) – hätte Deutschland diesen Weg gewählt, was aber nicht passiert ist – erfordern, dass im DBA eine LoB-Klausel enthalten ist, die Deutschland aber in eigener Abkommenspraxis und im Rahmen der MLI-Umsetzung gerade nicht umsetzt. Gleichwohl muss man zur Kenntnis nehmen, dass der Gesetzgeber zumindest den Willen hatte, die Ergebnisse des Aktionspunkts 6 umzusetzen und dabei insbesondere sog. Durchlauffinanzierungsgesellschaften mit § 50d Abs. 3 EStG bekämpfen wollte. Ferner wird man bei näherer Betrachtung feststellen, dass § 50d Abs. 3 EStG auch – aber nur rudimentär umgesetzt – den zweistufigen Ansatz des Aktionspunkts 6 widerspiegelt: § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG enthält eine Art LoB-Klausel, deren Anwendung durch eine PPT-Klausel in Satz 2 eingeschränkt wird. Im Gegensatz zum Ansatz der OECD wirkt die PPT-Klausel des Satzes 2 gesetzeskonzeptionell aber nicht ergänzend für die Fälle, die nicht von der LoB-Klausel erfasst werden. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber wohl (geplant oder zufällig) in § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG angeordnet, dass § 42 AO, der im Lichte des Art. 6 ATAD (der wiederum auf Aktionspunkt 6 beruht) als PPT auszulegen ist, ergänzend anwendbar bleibt. Dieser Verweis läuft aber nach hier vertretener Ansicht zum Teil leer (vgl. Rz. 594 ff.).
Rz. 64
Folgen für die Auslegung. Der artikulierte Wille des Gesetzgebers, Aktionspunkt 6 des BEPS-Aktionsplans durch § 50d Abs. 3 EStG umzusetzen, ist im Rahmen der (historischen) Auslegung zu berücksichtigen. Dabei wird man zum einen berücksichtigen müssen, dass sich in § 50d Abs. 3 EStG verschiedene El...