Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 708
Unterschiedliche Ansätze. Die OECD-Leitlinien unterscheiden Zeitfragen der Vergleichbarkeit im Hinblick auf den Ursprungs-, den Erhebungs- und den Erstellungszeitpunkt der Informationen über Vergleichbarkeitsfaktoren. Was den Ursprungszeitpunkt der Vergleichstransaktionen und der Informationen über deren Bedingungen anbelangt, stellt Tz. 3.68 OECD-Leitlinien auf den Idealzustand ab, wonach die Bedingungen solcher Fremdgeschäftsvorfälle die verlässlichsten Informationen für eine Vergleichbarkeitsanalyse darstellen, die zum selben Zeitpunkt wie der zu beurteilende Geschäftsvorfall zwischen den verbundenen Transaktionspartnern begonnen oder durchgeführt wurden ("zeitgleiche Fremdgeschäftsvorfälle"). Dieser Idealzustand würde es allerdings erfordern, dass Informationen über die wesentlichen Vergleichbarkeitsfaktoren in einer gewissen Zeitnähe zu ihrem Ursprung auch verfügbar wären. Wenn Tz. 3.68 OECD-Leitlinien in diesem Zusammenhang von einer möglicherweise nur eingeschränkten Datenverfügbarkeit spricht ("Availability of information [...] may however be limited in practice"), bildet diese vage Aussage die Realität der Verrechnungspreispraxis allenfalls unzulänglich ab. Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass wesentliche Informationen über Vergleichbarkeitsfaktoren zum Zeitpunkt der Transaktion zwischen den verbundenen Transaktionspartnern – wenn überhaupt – nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung verfügbar sind, sieht man einmal von gesamtwirtschaftlichen und branchenspezifischen Rahmenbedingungen ab.
Für die Verrechnungspreisbestimmung entscheidend sind die unterschiedlichen Konzepte, die die OECD-Leitlinien als Zeitfragen hinsichtlich des Zeitpunkts der Datenerhebung diskutieren. Im Grundsatz geht es um die Frage, ob für die fremdvergleichskonforme Bepreisung konzerninterner Transaktionen auf Informationen über vergleichbare Transaktionen zwischen unverbundenen Transaktionspartnern zurückzugreifen ist bzw. zurückgegriffen werden kann, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses verfügbar waren oder ob auch solche Informationen einzubeziehen sind, die erst nachträglich verfügbar werden bzw. die Vergleichstransaktionen betreffen, die gleichzeitig oder später erfolgt sind. Die OECD-Leitlinien unterscheiden in diesem Zusammenhang zwei Konzepte: den sog. "Ex-ante"-Ansatz bzw. "Arm's-length-price-setting"-Ansatz und den "Ex-post"-Ansatz bzw. "Arm's-length-outcome-testing"-Ansatz.
Rz. 709
"Ex-ante"-Ansatz ("Arm's-length-price-setting"-Ansatz). Nach dem sog. "Arm's-length-price-setting"-Ansatz werden für die Verrechnungspreisbestimmung nur solche Informationen zugrunde gelegt, die zum Zeitpunkt der Preissetzung verfügbar waren; die OECD-Leitlinien sprechen in diesem Zusammenhang von Informationen, die zu diesem Zeitpunkt "vernünftigerweise zugänglich" sind. Im Nachhinein mögen durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, welche Informationen wem zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar waren oder hätten verfügbar gewesen sein müssen.
Wie jede unternehmerische Preiskalkulation und jede unternehmerische Planung geht der Informations- und Kenntnisstand über die wesentlichen preisbestimmenden Einflussfaktoren vergleichbarer Geschäftsvorfälle auf vergangenheitsbezogene Daten zurück und berücksichtigt Veränderungen, die zwischen dem Ursprungzeitpunkt der betreffenden Daten und dem Zeitpunkt der Preisfestsetzung eingetreten sind. Insofern ist die Feststellung der OECD-Leitlinien im Hinblick auf die Berücksichtigung wirtschaftlicher Veränderungen und Marktveränderungen gerechtfertigt und entspricht ordnungsmäßiger Unternehmensplanung. Entscheidend ist, dass in die Verrechnungspreisbestimmung nur die Informationen eingehen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung bekannt waren. Der Ex-ante-Ansatz beruht darauf, dass der Fremdvergleichsgrundsatz zum Zeitpunkt der Durchführung der Geschäftsbeziehung – "ex ante" – beachtet wird. Später eintretende Entwicklungen berühren die Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz ebenso wenig wie das erst nach Abschluss der Geschäftsbeziehung Bekanntwerden von Informationen über preisbestimmende Einflussfaktoren, die ihren Ursprung vor dem Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung haben (siehe hierzu aber Rz. 712).
Rz. 710
"Ex-post"-Ansatz ("Arm's-length-outcome-testing"-Ansatz). Nach dem sog. "Arm's-length-outcome-testing"-Ansatz bestimmt sich die Übereinstimmung der Verrechnungspreisbestimmung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht zum Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung, sondern zu einem späteren Zeitpunkt nach Abschluss oder während der Durchführung der Geschäftsbeziehung, d.h. im Nachhinein. Hierbei verprobt der Steuerpflichtige das tatsächlich auf Grundlage des vereinbarten Verrechnungspreises eingetretene Ergebnis aus der Geschäftsbeziehung daraufhin, ob dieses im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz steht. Die OECD-Leitlinien gehen davon aus, dass eine ...