Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 713
Preisvereinbarung unter Unsicherheit. Preisvereinbarungen zwischen verbundenen Unternehmen erfolgen ebenso wie Preisvereinbarungen zwischen unverbundenen Transaktionspartnern unter Unsicherheit. Tz. 3.72 der OECD-Leitlinien behandelt die Frage, ob und nach welchen Grundsätzen unvorhersehbare Ereignisse in der Vergleichbarkeitsanalyse Berücksichtigung finden müssen, wobei dieser Frage bei hoher Unsicherheit der Bewertung besondere Bedeutung beigemessen wird. Der besondere Hinweis darauf, dass die Bewertung zum Zeitpunkt der Vergleichbarkeitsanalyse "höchst unsicher" war, impliziert, dass nicht jedwedes Bestehen von Unsicherheiten die Vergleichbarkeit beeinflusst und deshalb Berücksichtigung in der Vergleichbarkeitsanalyse finden sollte. Tz. 3.73 OECD-Leitlinien führt dementsprechend aus, dass das bloße Vorhandensein von Unsicherheiten keine nachträglichen Anpassungen erforderlich macht. Insofern gehen die OECD-Leitlinien im Grundsatz davon aus, dass Bewertungsunsicherheiten wie Prognoserisiken zugunsten wie zulasten des jeweiligen Transaktionspartners gehen und – wie bei unverbundenen Transaktionspartnern – keine nachträglichen Preisanpassungen nur deshalb rechtfertigten, weil diese im Konzernverbund – und zwar aufgrund der Verbundenheit der Transaktionspartner – vermeintlich einfacher durchsetzbar wären. Es ist gerade die Funktion des Fremdvergleichsgrundsatzes, den fehlenden Interessengegensatz aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit der Transaktionspartner zu überwinden. Zu Besonderheiten bei schwer bewertbaren immateriellen Werten wird auf Rz. 717 verwiesen.
Rz. 714
Maßgeblichkeit des Fremdvergleichsgrundsatzes. Wenig aufschlussreich empfehlen die OECD-Leilinien für die Berücksichtigung unvorhersehbarer Ereignisse eine Orientierung daran, wie fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen gehandelt hätten, um die Bewertungsunsicherheiten bei der Preisvereinbarung für den betreffenden Geschäftsvorfall zu berücksichtigen. Mithin soll es sich nach dem Fremdvergleichsgrundsatz bestimmen, ob und mit welchen Maßnahmen unverbundene Transaktionspartner "hohen" Bewertungsunsicherheiten Rechnung tragen bzw. getragen hätten. Die OECD-Leitlinien führen hierzu in Tz. 3.73 wie folgt aus: "The main question is to determine whether the valuation was sufficiently uncertain at the outset that the parties at arm's length would have required a price adjustment mechanism, or whether the change in value was so fundamental a development that it would have led to a renegotiation of the transaction." Mithin wird gerade die Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel selbst einem Fremdvergleich anheimgestellt, ohne für dessen Durchführung konkrete Vorgaben zu machen oder gar das Ergebnis vorwegzunehmen.
Rz. 715
"Pacta sunt servanda" und Fremdvergleichsgrundsatz. Eine andere Frage ist, ob die alternative Möglichkeit der Neuverhandlung wesentlicher Vertragsbestimmungen, hier insbesondere des vereinbarten Preises, einem Fremdvergleich überhaupt zugänglich ist. Die OECD-Leitlinien wollen diese Frage in Fällen, in denen eine Wertveränderung eine (derart) grundlegende Entwicklung darstellt, nach dem Fremdvergleichsgrundsatz beantworten. Richtigerweise müssen fremde Dritte auch die rechtlichen Möglichkeiten haben, eine solche Nachverhandlung durchzusetzen. Nach dem Grundsatz der Vertragstreue ("pacta sunt servanda") sind die Parteien zivilrechtlich an den von ihnen geschlossenen Vertrag gebunden, es sei denn, es wurden vertragliche Vorbehalte vereinbart oder ein Festhalten an dem Vertrag ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, insbesondere bei Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage, nicht mehr zumutbar. Ob eine schwerwiegende Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, bestimmt sich nach Treu und Glauben oder – entsprechend der Rechtswahl – nach § 313 BGB bzw. der vergleichbaren Regelung ausländischen Zivilrechts. Diese Rechtsfrage ist einem Fremdvergleich grundsätzlich nicht zugänglich. Sie ist im konkreten Einzelfall entsprechend der zivilrechtlichen Rechtsprechung zu beantworten und nach allgemeinen Beweislastregeln von demjenigen nachzuweisen, der für sich das Vorliegen der Voraussetzungen in Anspruch nimmt. Erst wenn feststeht, dass die Neu- oder Nachverhandlung wesentlicher Vertragsbestimmungen zivilrechtlich durchsetzbar ist, können Fremdvergleichsgesichtspunkte darüber Aufschluss geben, ob fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen Nachverhandlungen geführt hätten. Hierfür kann es durchaus von Bedeutung sein, ob aufgrund von Interessen an anderweitigen Lieferungs- und Leistungsbeziehungen im konkreten Einzelfall ein Festhalten an der unveränderten Preisvereinbarung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar ist. Liegen demgegenüber die zivilrechtlichen Voraussetzungen für eine Nachverhandlung nicht vor, entspricht es gerade dem Fremdvergleichsgrundsatz, dass sich diejenige Vertragspartei, zu deren Lasten sich Nachverhandlungen auswirken würden, auf ...