Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 596
Wirtschaftliche Betrachtungsweise. Für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatz und für die Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise sind ausschließlich die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend. Der Gesetzgeber verortet dies in der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und in der Abstrahierung von einer rein rechtlichen Betrachtungsweise. Diese "war und ist der Verrechnungspreisprüfung aus deutscher steuerrechtlicher Sicht seit jeher zugrunde zu legen". Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist es, "die wirtschaftlichen Aktivitäten der Unternehmensgruppe zu analysieren, zu verstehen und die zu würdigenden Geschäftsvorfälle in diesem Kontext mit ökonomischem Sachverstand, insbesondere basierend auf ökonomisch anerkannten Methoden, zu beurteilen." § 1 Abs. 3 Satz 1 betont dies mit der Maßgabe der tatsächlichen Verhältnisse.
Rz. 597
Rechtsprechung. Die Abstrahierung von der rein rechtlichen Betrachtungsweise wurde von der Rspr. des BFH (z.B. im Zusammenhang mit Erbbaurechten) in der Weise betont, dass Verträge auch steuerrechtlich nach ihrem wirklichen wirtschaftlichen Gehalt zu beurteilen und zu behandeln sind. Im Steuerrecht sei bei der Beurteilung eines Sachverhalts der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung zu berücksichtigen, so dass die steuerrechtliche Würdigung eines Sachverhalts nicht am äußeren Bild oder an der Bezeichnung haftenbleiben dürfe, die die Beteiligten zivilrechtlich wählen, sondern es sei der wirtschaftliche Gehalt des Vorgangs zu erfassen und festzustellen, ob die rechtliche Bezeichnung das von den Beteiligten Gewollte und wirtschaftlich Angestrebte zutreffend wiedergibt. Allerdings wurde auch betont, dass die wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht dazu dienen dürfe, eine für die Besteuerung fehlende gesetzliche Grundlage zu ersetzen.
Rz. 598
Ständige Verwaltungspraxis. Dies entspricht auch der ständigen deutschen Verwaltungspraxis für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen und damit für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes des § 1. So hatten bereits die VWG 1983 in Tz. 2.1.2. auf diese Rechtsprechung Bezug genommen und vorgegeben, dass für die Einkunftsabgrenzung bei Geschäftsbeziehungen zwischen Nahestehenden "die tatsächlichen Verhältnisse nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt (maßgebend)" sind. Nach den VWG 2020 haben sich die Aufzeichnungen zur Angemessenheitsdokumentation "auf die tatsächlichen Verhältnisse und damit die tatsächlich durchgeführte Geschäftsbeziehung zu beziehen." Dementsprechend führt Rz. 3.2 der VWG VP – unverändert – wie folgt aus: "Maßgebend für die Betrachtung der Geschäftsbeziehungen zwischen einem Steuerpflichtigen und einer ihm nahestehenden Person sind gemäß § 1 Absatz 3 Satz 1 AStG die dem jeweiligen Geschäftsvorfall zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnisse nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt (vgl. BFH vom 30. Juli 1965, VI 288/63 U, BStBl III S. 613; vom 26. Februar 1970, I R 42/68, BStBl II S. 419 und vom 15. Januar 1974, VIII R 63/68, BStBl II S. 606), also die tatsächlich durchgeführte Geschäftsbeziehung."
Rz. 599
Maßgeblichkeit des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts. Gegenstand einer Angemessenheitsbeurteilung mithilfe des Fremdvergleichs ist allerdings nicht die konkrete Geschäftsbeziehung zwischen Transaktionspartnern eines internationalen Unternehmensverbunds selbst. Das hat zur Folge, dass eine vom Unternehmen eingegangene Geschäftsbeziehung nicht durch eine (z.B. von der steuerlichen Betriebsprüfung entwickelte) fiktive Geschäftsbeziehung ersetzt oder umgedeutet werden kann. Zu beurteilen sind vielmehr allein die Preise und sonstigen Konditionen innerhalb der vom Unternehmen tatsächlich eingegangenen Geschäftsbeziehung. Die tatsächliche Aufgabenverteilung im Konzern kann nicht – von Missbrauchsfällen i.S. des § 42 AO abgesehen – durch eine fiktiv neue Organisationsstruktur bzw. Aufgabenverteilung ersetzt werden. Vielmehr ist jede Unternehmensgruppe im organisatorischen Aufbau und in der funktionalen Gliederung ihrer Tätigkeitsbereiche frei. Die Finanzverwaltung kann hierbei lediglich überprüfen, ob die Preise für den Lieferungs- und Leistungsaustausch innerhalb dieser vorgefundenen Aufgaben- bzw. Funktionsverteilung sachgerecht festgesetzt wurden. Dies ergibt sich im Übrigen auch zwingend aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1, wo zutreffend auf eine verrechnungspreisbedingte Einkünfteminderung "aus einer Geschäftsbeziehung" zum Ausland Bezug genommen wird. Dies entspricht auch der Rspr. des BFH. Hiernach erfordert der Fremdvergleich das Wegdenken der Nahestehensbeziehung und unterstellt das Fortbestehen aller übrigen Beziehungen. Hierauf stellt auch der Gesetzgeber ausdrücklich ab und führt zudem in der Gesetzesbegründung zum AbzEntModG wie folgt aus: "Dies geht aber nicht so weit, dass sich die Beurteilung lediglich danach richtet, wie fiktiv unabhängige Unternehmen den maßgebenden Geschäftsvorfall ge...